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Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf

Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf

Titel: Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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kompatibel waren mit ihren Angaben, hatten wir nichts in der Hand. Denn auch die Angaben der Geliebten konnten nicht widerlegen, dass Annabella W. dennoch in Notwehr gehandelt haben könnte. Sie zeigten zwar ein mögliches Tatmotiv auf, aber mehr eben nicht. Wir hatten also weder einen eindeutigen Sachbeweis noch einen unmittelbaren Personenbeweis. Und die
gefühlsmäßige Einschätzung von uns Ermittlern ist keinen Pfifferling wert. Beweise braucht die Staatsanwaltschaft und keine Spekulationen oder Mutmaßungen. Denn sie ist es, die vor Gericht die Anklage vertreten muss. Wir Ermittler sind »nur« die Sammler. Die Bewertung unserer Ergebnisse sind Aufgabe der Staatsanwaltschaft und die Beurteilung derselben die des Gerichtes.
    95 Prozent aller Gerichtsurteile beruhen übrigens auf dem Personenbeweis. Obwohl man weiß, dass nichts unzuverlässiger und unsicherer sein kann als der Mensch in seiner Unzulänglichkeit. Dennoch lassen sich die Aussagen von Zeugen, Sachverständigen oder Beschuldigten durch nichts ersetzen. So kann beispielsweise das Tatmotiv nur durch die Aussage von Personen und kaum durch Fingerabdrücke oder sonstige Sachbeweise erarbeitet werden, ebenso wie die Erstellung sogenannter Opfer- und Täterbilder davon abhängt, wie eine Person wahrgenommen wurde. Unter Fachleuten ist dennoch strittig, ob dem Personen- oder dem Sachbeweis die höhere Bedeutung zukommt. Während nämlich Sachbeweise nur im Kontext mit der Tatrelevanz beweiskräftig sind, unterliegen Personenbeweise naturgemäß einer hohen Fehleranfälligkeit, weil deren Qualität wiederum von der Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Wiedergabefähigkeit der jeweiligen Zeugen abhängig ist. Oft genug habe ich beispielsweise erlebt, dass Zeugen trotz Dunkelheit die Farbe eines Autos oder der Kleidung eines Flüchtenden erkannt haben wollen, obwohl für das menschliche Auge in der Finsternis alle Katzen grau sind.
    Personen-, Sachbeweise und sonstige Ermittlungsergebnisse dürfen keine Gegensätze sein, sondern müssen sich ergänzen. Stehen sie im Widerspruch zueinander, ist
das Ermittlungsergebnis fraglich und bedarf einer Überprüfung bzw. Überarbeitung. In unserem Fall stand fest, dass die Spurenlage und die Aussage der Beschuldigten im Widerspruch zueinander standen. Die Frage war nur, was war falsch? Unsere Interpretation der Spurenlage oder die Angaben der Beschuldigten?
    Als ich noch ganz frisch im »Geschäft« war, erklärte mir ein altgedienter, erfahrener Kollege einmal: »Es gibt fast immer Mitwisser.« Er hatte recht. 99 Prozent der Täter vertrauen sich jemandem an. Entweder schon vor der Tat oder danach. Kaum ein Mörder plant, handelt und agiert völlig eigenständig, ohne dass es irgendjemand aus seinem Umfeld weiß oder zumindest ahnt. Man muss sie nur finden, diese geistigen Komplizen. Und man muss sie dazu bringen, ihr Wissen preiszugeben. Was natürlich besonders schwierig sein kann. Wer verrät schon den Mann, die Frau, den Bruder oder die Geliebte? Würde ich wahrscheinlich auch nicht tun. Deshalb macht man sich ja auch nicht strafbar, wenn man einen engeren Verwandten nicht anzeigt. Andernfalls wäre es Strafvereitelung. Tatsächlich gab es Fälle, wo Menschen ihr Wissen jahrzehntelang mit sich herumgetragen hatten, um es aus den unterschiedlichsten Gründen dann doch irgendwann zu offenbaren. Oft nach dem Tod eines Täters oder weil sich die Lebenslage anderweitig geändert hat. Manchmal auch aus Rache oder aus Eigennutz, zum Beispiel wegen einer ausgesetzten Belohnung. In vielen Fällen aber ist es tatsächlich das schlechte Gewissen, warum jemand nach langer Zeit doch noch sein Schweigen bricht. Die systematische Bearbeitung sogenannter Altfälle, wie sie seit etwa acht Jahren betrieben wird, hat dies eindrucksvoll bewiesen.

    In unserem Fall meinten wir einen Mitwisser zu kennen: den Sohn. Seine bisherigen, sehr dürftigen Angaben waren genauso wenig glaubhaft wie die seiner Mutter. Natürlich war uns aufgefallen, dass ihn seine Mutter dominierte. Ein Muttersöhnchen in Reinkultur. Eigentlich dürfte es kein Problem sein, die Wahrheit aus ihm herauszubekommen, überlegten wir. Die meisten dieser jungen Männer sind nicht besonders widerstandsfähig, wenn sie erst einmal auf sich selbst gestellt sind. Kann man sie dann auch noch davon überzeugen, dass es zum Besten von Mami ist, wenn sie die Wahrheit sagen, dann sagen sie diese auch. Mehrfach habe ich miterlebt, dass Mütter ihre Söhne zu Komplizen machten, weil

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