Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf
zu verdanken. Er hätte verheerende Wirkung gehabt in dem Gebäude mit hohem Publikumsverkehr. Eine Angestellte hatte die Bombe gerade noch rechtzeitig entdeckt und auch den Mann gesehen, der aus der Damentoilette herausgekommen war. Es war derselbe Mann, der genau eine Woche vorher bei einer Kollegin war und sich derart aggressiv benommen hatte, dass sie fast schon die Polizei hatten rufen wollen. Der junge Mann mit der Glatze hatte nämlich unverschämte Forderungen gestellt, insbesondere habe er eine spezielle Behandlung in einer Psychiatrischen Klinik am Chiemsee gefordert. Als ihm erklärt worden war, dass dies nicht so ohne Weiteres bewilligt werden könne, wurde er wütend, verließ das Amtszimmer und kündigte an, er würde sich eine derartige Behandlung nicht länger gefallen lassen. Bei dem Mann hatte es sich um Alexander W. gehandelt, wie anhand der Akten leicht nachvollziehbar war. Zudem wurde nach Angaben der Angestellten, die den Attentäter gesehen hatte, jenes Phantombild erstellt, das einem Foto von Alexander W. gleichgesetzt werden konnte. Auf diesem Bild hätte ihn jedenfalls jeder erkannt.
Beamte der Brandfahndung hatten Alexander W. daraufhin festgenommen. Die Sache schien klar zu sein. Auf dem Sprengsatz war eine Fingerspur gesichert worden, die Alexander W. zweifelsfrei zugeordnet werden konnte.
In seiner Vernehmung bestritt er die Tat. In seiner Wohnung konnten zwar keine Materialien gefunden werden, die mit dem Bau der Bombe in Zusammenhang hätten stehen können, aber es wurde ein Buch sichergestellt, in dem entsprechende Anleitungen zum Bau solcher Sprengsätze enthalten waren. Auf die Frage, wie er sich seine Fingerabdrücke auf dem Sprengsatz erkläre, der in der Damentoilette deponiert war, gab er zu Protokoll, er sei versehentlich auf die Damentoilette gegangen, habe dort seine Notdurft verrichtet und beim Griff nach dem Toilettenpapier könne er durchaus an den Sprengsatz gekommen sein, der hinter der Toilettenschüssel deponiert war, wie er der Zeitung entnommen habe. Das glaubte ihm natürlich niemand - außer dem Ermittlungsrichter. Dieser meinte, schließlich habe eine Zeugin bestätigt, dass er aus der Damentoilette gekommen sei, und damit seien seine Einlassungen nicht zu widerlegen. Darüber hinaus sei der Besitz von Büchern, in denen Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen enthalten sind, nicht ungewöhnlich für Studenten. Der Beschuldigte sei deshalb umgehend auf freien Fuß zu setzen. Für diese Fehlentscheidung sollte der Herr Ermittlungsrichter später zwar eine gewaltige Rüge des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß erhalten, vorerst aber hatte der Fall für mächtigen Wirbel gesorgt und entsprechende Resonanz in den Medien gefunden, weshalb natürlich auch das Phantombild noch einmal gezeigt worden war. In der Hoffnung, doch noch weitere Zeugen zu finden.
Als ich am nächsten Morgen nach der Rückkehr aus dem Urlaub wieder im Büro war, besprachen meine Kollegen und ich zusammen mit den Brandfahndern das
weitere Vorgehen. Wir waren uns alle einig, dass wir diese im wahrsten Sinne des Wortes tickende Zeitbombe aus dem Verkehr ziehen mussten.
Alexander W. war nicht zu Hause. Seine Vermieter, die zwischenzeitlich tief verzweifelt waren und einen Anwalt eingeschaltet hatten, wussten nicht, ob er die Nacht zu Hause verbracht hatte. War er untergetaucht?
Am Nachmittag gegen 15.00 Uhr meldeten die Observationskräfte, dass Alexander W. heimgekommen sei. Zusammen mit meinem Kollegen Raimund E., dem damals ersten und einzigen dunkelhäutigen Kriminalbeamten Münchens, rasten wir mit Blaulicht und Martinshorn nach München-Moosach. Alexander W. öffnete, und als er mich erkannte, wirkte er fast erleichtert. Erst als er meinen Kollegen sah, erschrak er. Er schaute ihn derart ungläubig an, als habe er noch nie in seinem Leben einen Schwarzen gesehen. Dann merkte ich, dass er Angst vor ihm hatte.
»So, Alexander, das Spiel ist jetzt vorbei. Jetzt reicht’s, ja? Du kommst mit zur Dienststelle, bist vorläufig festgenommen.«
Mein Kollege legte ihm Handschellen an, und Alexander schien in die Hose zu machen, so erschreckt schaute er diesen an. Er traute sich kein Wort zu sagen.
Es sollte die anstrengendste, langwierigste und schwerste Vernehmung meines gesamten dienstlichen Lebens werden. Obwohl ich noch viele schwere Vernehmungen vor mir haben sollte. Aber eine solche Gott sei Dank nie mehr. Sie begann um 15.00 Uhr nachmittags und sollte anderntags
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