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Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf

Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf

Titel: Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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nach 17 Stunden um 8.00 Uhr morgens enden. Davon würde das Vorgespräch fünf Stunden beanspruchen und zwölf Stunden würde die schriftliche Vernehmung
dauern. Der Kollege von der Brandfahndung würde aussehen wie ein alter Mann, grau und eingefallen. Und ich auch nicht viel besser. Am Ende würde Alexander W. erschöpft zusammenbrechen und die Schreibkraft würde einen Nervenzusammenbruch erleiden, obwohl sie einen Rekord aufgestellt hatte. Und ich würde mich ernsthaft fragen, warum ich mir das eigentlich antue.
    Es begann nicht damit, dass Alexander W., nachdem wir auf der Dienststelle waren, in sich gegangen ist und gestanden hat. Es war wie immer. Ich zeigte ihm alle belastenden Indizien auf, die ihn in keiner Weise interessierten. Ich machte ihm klar, dass es auch eine Chance sei, von sich aus und aus freien Stücken die Wahrheit zu sagen. Das könne sich strafmildernd auswirken. Es interessierte ihn nicht. Ich versuchte ihm klar zu machen, wie wichtig es für die Opfer von Gewalttaten sei, Gewissheit zu bekommen. Dabei gehe es nicht um Rache, es gehe um Aufarbeitung. Es tropfte an ihm ab. Ich kam auf Christine S. zu sprechen, erzählte ihm ihr Pech mit der Bluttransfusion und versuchte sein Mitleid mit der jungen Frau zu wecken. Es war vergebens. Ich sagte ihm, dass ich sehr wohl registriert hätte, dass er die Schreibkraft vor einiger Zeit, die ich ihm als neu vorgestellt hatte, als Christine S. erkannt habe. Er habe es sich nur nicht anmerken lassen, weil er ein Meister der Beherrschung sei. Insofern sei er nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Er sei einfach zu schlau. Deshalb habe er auch gewusst, dass ihn Christine S. nicht wiedererkannt habe, sonst hätte ich ihn ja festgenommen.
    Zum ersten Mal lächelte er und schien geschmeichelt zu sein. Aha, dachte ich, da liegt also der Hase im Pfeffer. Ich setzte nach. Christine S. hätte ihn nicht wiedererkannt.
Sie habe sehr geweint, weil sie so gehofft hatte, er würde ein Einsehen haben, wenn er sie erkenne, und würde sich vielleicht entschuldigen. Und er habe sie erkannt, hielt ich ihm vor. Er gab keine negative Antwort, stritt es also zumindest nicht ab. Wir hätten keine Chance, ihn zu überführen, fuhr ich fort. Das müsse ich jetzt und hier offen und ehrlich zugeben. Es sei denn, er würde sich öffnen. Er habe es jetzt in der Hand, sein Leben zu ändern.
    Und während ich wie ein Pfarrer auf ihn einredete, wurde mir plötzlich klar, dass dieser Mensch, der da vor mir saß, für andere Menschen nichts empfinden konnte - weder Mitgefühl noch Verständnis noch Mitleid. Der Typ war allen anderen Menschen gegenüber gefühlsmäßig tot. Deshalb lebte er völlig isoliert. Der konnte nur noch an eines denken: an sich selbst. Sein ganzes Leben, sein ganzes Handeln und Tun drehte sich ausschließlich um ihn selbst und seine eigenen Befindlichkeiten. Er war das Wichtigste und Einzige, das Nonplusultra, das alles Übertreffende.
    Ab diesem Zeitpunkt sprachen wir nur noch über ihn. Kein Wort mehr über das Opfer, kein Wort mehr über die Indizien, kein Wort mehr über Strafmilderungsgründe oder Ähnliches. Nur er war wichtig, und im Mittelpunkt stand seine Krankheit. Mindestens zwei Stunden trug er mir vor, welche Krankheitsbilder er bei sich selbst diagnostiziert hatte. Er behauptete allen Ernstes, dass er sich zwischenzeitlich besser auskenne als all die Psychologen und Psychiater, die er schon aufgesucht habe. Es seien allesamt Scharlatane oder Versager gewesen. Kein Einziger sei in der Lage gewesen, die richtige Diagnose zu stellen, geschweige denn die richtige Therapieform vorzuschlagen.

    Langsam begriff ich, warum kein von ihm konsultierter Arzt Gnade in seinen Augen gefunden hatte. Wahrscheinlich hatte ihm keiner nach dem Munde geredet. Er war wie manche Strafgefangenen, die sich nur solche Verteidiger aussuchen, die ihnen das Blaue vom Himmel versprechen, nur um an ein Mandat zu kommen. Egal, wie es für den Mandanten ausgeht.
    Plötzlich hatte ich eine Idee. Ich redete ihm nach dem Munde. Ja, meinte ich, ich könne mir gut vorstellen, dass solche Psychiater, die frei arbeiten, nicht gerade die besten sein könnten. Die wirklichen Koryphäen seien natürlich in den großen, renommierten Kliniken tätig. Das sei ja auch logisch, weil nur dort die schweren Fälle zu finden wären. Und für jeden anderen hochqualifizierten Arzt seien es nun einmal die schwersten Fälle, die eine wirkliche Herausforderung darstellten und anhand derer man sich

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