Abgrund der Lust
Gesicht aus. Es war eine Dose Pfefferminz. Extra starke Pfefferminz war auf das Metall aufgedruckt, gefolgt von dem Namen Altoids.
Victoria nahm die kleine Dose auf und hielt sie impulsiv dem Wächter hin, damit er sie sehen konnte. »Jemand hat seine Halspastillen vergessen.«
»Sie hat niemand vergessen.« Die Miene des Wächters blieb stoisch, die smaragdgrünen Augen unverwandt. »Sie sind für die Gäste.«
Victorias Lächeln erstarb.
Pfefferminz gegen Mundgeruch.
»Das ist sehr großzügig von Gabriel«, sagte sie finster und ließ die Hand sinken. Sie wollte die Dose wieder auf den Nachttisch stellen.
»Nehmen Sie sie mit.«
Victoria schaute verwundert auf. Die Miene des Wächters war undurchdringlich.
»Verzeihung?«
»Nehmen Sie die Halspastillen mit. Diese Pfefferminz sind stärker als andere Sorten. Essen Sie eine Pastille und nehmen Sie Mr. Gabriel in den Mund. Es wird ihm gefallen.«
Victoria war überrascht, dass die Hitze in ihrem Körper die Pfefferminz nicht schmelzen ließ.
Der Wächter trat zurück und bedeutete ihr damit unmissverständlich, dass es Zeit war zu gehen.
Victoria stimmte ihm aus ganzem Herzen zu. Sie nahm die Pfefferminzpastillen, drehte sich um und warf einen Blick in das halb versilberte Glas, das ein Gast lediglich als Spiegel sah.
Die dunkelhaarige Frau darin war nicht mehr zerlumpt, sondern elegant, nicht mehr dürr, sondern schlank. Ihr Gesicht war ebenso rot wie der weinrote Samt, der ihr Kleid zierte.
Der Wächter mit den kastanienbraunen Haaren war im Spiegel im Profil zu sehen; sein schwarzer Gehrock bildete einen starken Kontrast zu Victorias goldbraunem Kleid. Plötzlich waren sie verschwunden, der Wächter mit dem kastanienbraunen Haar und dem schwarzen Gehrock und die dunkelhaarige Frau in ihrem goldbraunen Kleid. An ihrer Stelle stand ein schwarzhaariger Mann allein.
Victorias Augen weiteten sich. Doch nun sah sie wieder das Profil eines Mannes mit kastanienbraunem Haar und einem schwarzen Gehrock hinter einer dunkelhaarigen Frau in einem goldbraunen Kleid.
Der Wächter und Victoria.
Victoria zwinkerte.
»Es ist Zeit zu gehen«, sagte Julien.
Victoria konnte es gar nicht abwarten, aus dem eleganten Schlafzimmer zu kommen.
In der Tür warf sie mit pochendem Herzen einen flüchtigen Blick über die Schulter zurück auf das halb versilberte Glas.
Es war ein Spiegel, kein transparentes Fenster.
»Ich sah Sie in die unterste Schublade schauen.«
Victoria fuhr auf.
Smaragdgrüne Augen schauten zu ihr herunter. »Sie sind Häuser wie dieses nicht gewöhnt.«
Es war nicht notwendig, abzustreiten, was ohnehin offensichtlich war. »Nein«, gab Victoria zu. »Ich bin Häuser wie dieses nicht gewöhnt.«
»In Bordellen benutzt man Lederpeitschen und neunschwänzige Katzen statt geknoteter Seide und geflochtener Reitgerten.«
Victoria brauchte Julien nicht zu fragen, woher er das wusste: Es war ihm in die Augen geschrieben.
»Das Haus Gabriel ist kein Bordell«, sagte Victoria.
»Nein, Ma'am.« Finstere Erinnerungen standen in Juliens Augen. »Das Haus Gabriel ist sicherer als ein Bordell. Für Kunden und für Prostituierte.«
Victoria war fasziniert. Gabriel mochte das Haus Gabriel für einen Ort der Sünde halten, aber …
»Sie billigen Mr. Gabriels Haus«, sagte sie vorsichtig.
»Ja«, antwortete der Wächter mit den kastanienbraunen Haaren rundheraus.
Wärme erfüllte Victorias Lächeln. »Ich ebenfalls, Mr. Jules. Sollen wir Monsieur Gaston suchen?«
Sie brauchten Gaston nicht zu suchen. Er wartete bereits am Fuß der Treppe auf sie. In seinen Augen lag der Blick des Mannes von der Straße, der er früher einmal war. Ich werde meine Stellung verlieren , hatte Julien gesagt.
Gaston öffnete den Mund …
»Es war allein meine Schuld, Monsieur Gaston. Ich wollte eines der Gästezimmer besuchen, um …« Victoria atmete tief durch, es gab keinen anderen Weg. »… um zu sehen, ob ich etwas finde, womit ich Monsieur Gabriel eine Freude machen kann.«
Gastons Mund klappte hörbar zu. Er erholte sich jedoch rasch von seinem Schreck.
»Ich hoffe, Mademoiselle war nicht … überrascht … über die Hilfsmittel dort.«
» Au contraire , Sir.« Victoria hielt die Dose Pfefferminz hoch. »Mr. Jules hat mir freundlicherweise empfohlen, diese zu versuchen.«
Die tiefe Röte auf Victorias Wangen spiegelte sich auf Gastons Wangen wider. » Merci , Mademoiselle. Wir werden diesen Vorfall Monsieur Gabriel gegenüber nicht erwähnen, damit wir ihm
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