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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Schone
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Mademoiselle?«
    Dolly hatte sich selbst als Zwei-Pence-Dirne bezeichnet, die als Hure arbeitete, seit sie zehn Jahre alt war. Eine Frau mit graubraunen Haaren und fehlenden Schneidezähnen. Sie hatte Victoria gedrängt, sich zur Eröffnung des Hauses Gabriel einzuschleichen. In dem Gedränge würde niemand sie bemerken, hatte sie erklärt. Nur reiche, mächtige Männer hätten dort Zutritt, hatte sie hinzugefügt. Männer, die weitaus mehr für ihre Jungfräulichkeit zu zahlen bereit wären als Männer in einem Bordell oder auf der Straße.
    Und dabei hatte sie die ganze Zeit Victorias Tod geplant. Sicher in der Hoffnung, Victorias Geld zu stehlen, wenn ihre Leiche kalt in einer Gasse läge. Alles im Namen des Überlebens.
    Der elegante Raum war zu eng. Der Lüster an der Decke zu hell. Das knisternde Feuer zu heiß. Das Haar auf ihrem Rücken zu schwer.
    Victoria musste fort von diesen stechenden Augen. Vorsichtig ging sie um ihn herum und nahm ihren Umhang von der Lehne des Ledersessels. Ihre Tasche brauchte sie nicht – er konnte es behalten. Das Gift. Ihre Zahnbürste. Ihren Kamm. Die Haarnadeln.
    Er hielt sie nicht auf.
    Die Tür war aus hoch glänzendem Holz in einem Farbton zwischen Braun und Gelb. Die Gouvernante in Victoria erkannte Satinholz, das in Indien und Ceylon wuchs.
    Die Tür war nicht verschlossen. Das war nicht nötig. Der Kellner, der sie in die Bibliothek geführt hatte, stand vor der Tür Wache. Victoria bezweifelte nicht, dass auch er unter seinem schwarzen Rock eine Waffe trug.
    »Bringen Sie ein Tablett herauf, Gaston.« Die allzu vertraute Stimme glitt glatter als Satin an ihrem Rückgrat herunter. »Und eine Kanne Tee. Mademoiselle bleibt bei uns.«
    »Sehr wohl, Monsieur.«
    Behutsam schloss Gaston die Tür vor Victorias Nase.
    Sie wirbelte herum, dass ihr Kleid sich an ihren Knöcheln verfing,ihr Haar wehte und ihr Herz ihr die Kehle zuschnürte. »Sie können mich nicht gegen meinen Willen festhalten.«
    » Au contraire .« Gabriel schaute sie an. »Wenn Ihr Leben nicht verzichtbar wäre, wären Sie nicht hier, Mademoiselle.«
    Dass er ihr Leben so beiläufig abtat, verschlug ihr vorübergehend die Sprache.
    »Sie wollen mich nicht«, stieß Victoria hervor und klammerte sich an ihren Umhang wie an einen Rettungsanker.
    »Sie wären überrascht, was ich will«, erwiderte er kryptisch.
    Beobachtend. Wartend. Als sei sie gefährlich, nicht er.
    »Sie hatten nie die Absicht, mir beizuwohnen«, warf Victoria ihm leichtsinnig vor.
    »Nein«, bestätigte er. Licht und Dunkel schimmerten in seinen silbernen Augen. »Ich hatte nicht die Absicht, Ihnen beizuwohnen.«
    »Sie haben mir befohlen, mich auszuziehen«, sagte sie. Obwohl Sie wussten, dass Sie mich nicht nehmen würden , brauchte sie nicht erst hinzuzufügen.
    Er hatte ihre armseligen, provisorischen Strumpfbänder gesehen, die rutschenden Strümpfe, die fadenscheinige Unterhose und die abgetragenen Schuhe. Seine Augen blieben kühl. Ungerührt.
    »Warum?« Victorias Schrei prallte an der Decke ab und huschte über die blau gestrichenen Wände. »Warum haben Sie mich angelogen?«
    Warum hatte er sie mit Bildern verschlungener Körper gelockt, die in der Nachglut der Lust vor Schweiß trieften? Warum hatte er ihr gesagt, er finde sie begehrenswert ?
    »Ich musste es wissen«, sagte er schlicht.
    Vorher hatte sie die flüchtigen Schatten in seinen Augen als Bedauern ausgelegt; diesen Fehler machte sie nun nicht mehr.
    »Was mussten Sie wissen? Wie weit eine Jungfrau gehen würde, um an Geld zu kommen?« Victoria rang darum, den schrillen Beiklang der Angst aus ihrer Stimme zu halten. »Sie haben Ihren Körper verkauft. Ich versichere Ihnen, Sir, ich wäre noch viel weiter gegangen, als mit den Brüsten vor Ihrem Gesicht dazustehen.«
    Sie schloss den Mund und lauschte dem Widerhall ihrer Worte.Die Wände rückten näher, bis sie ihre Enge beklemmend in ihrem Rücken, ihrer Brust, ihren Seiten spürte.
    Sie hätte ihn in den Mund genommen.
    Sie hätte ihn in jede Körperöffnung genommen.
    Und er wusste es.
    Es war offenkundig, dass ihre Jungfräulichkeit für ihn keinen Wert besaß. Aber sie war alles, was ihr geblieben war. Auch das wusste er.
    »Ich musste wissen, ob Sie eine Waffe haben, Mademoiselle«, sagte er lediglich.
    »Sie haben mir befohlen, meine Unterhose auszuziehen« – sie schnappte nach Luft –, »um zu sehen, ob ich darin eine Waffe verstecke?«
    »Ja.«
    »Was dachten Sie, wo ich diese Waffe versteckt hätte –

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