Abgrund der Lust
commencer .
Lasst das Spiel beginnen.
Wann würde es enden?
Victoria bemühte sich, Gabriels kalter Logik zu folgen. »Aber mein Tod würde zu seinem Plan gehören?«
»Ja.«
»Weil ich verzichtbar bin«, wiederholte sie eine frühere Äußerung von ihm.
Die gezähnte Messerklinge blitzte zustimmend auf.
»Ja.«
Rötlich gelbe und blaue Flammen züngelten im Kamin hoch.
Victoria hatte gar nicht gewusst, dass brennende Holzscheite so viel Kälte ausstrahlen konnten.
»Und Sie haben die Absicht, mich zu töten, um mir diesen … Tod zu ersparen?«
»Letzten Endes wären Sie mir dankbar.«
Wut brodelte in Victoria hoch. »Der Mann, der diese Briefe schrieb, behauptete, wenn ich ihm erst meine Jungfräulichkeit geschenkt hätte, würde ich das ›notwendige‹ Übel verstehen, alles zu verlieren, wofür ich je gearbeitet habe. Und nun behaupten Sie, ich würde Ihnen dankbar sein, dass Sie mich töten. Sie werden verzeihen, Sir, wenn ich keinem von Ihnen beiden zustimme.«
»Der Mann, der die Briefe schrieb, ließ Ihnen keine Wahl. Ich schon.«
»Eine Wahl zwischen was?« Hysterie lag in Victorias Stimme. »Auf welche Weise Sie sich meiner entledigen?«
»Ich lasse Ihnen die Wahl zu leben, Mademoiselle.«
Erst Tod, jetzt …
»Und was muss ich tun, um dieses Leben zu erhalten, das Sie mir anbieten?«
»Seien Sie mein Gast.«
»Verzeihung?«
Wie viele Male hatte Victoria nun schon um Verzeihung gebeten, fragte sie sich, obwohl es widersinnig war. Vier Mal? Fünf Mal? Öfter?
»Bleiben Sie hier, in meiner Wohnung, bis es sicher ist.« Sicherheit – in seinen Augen lag keine Sicherheit. Sein Zimmer. Sein Haus. »Ich habe Männer, die Sie bewachen werden.«
»Eben haben Sie gesagt, Sie könnten nicht für meine Sicherheit garantieren«, erwiderte Victoria.
»Das kann ich auch nicht.«
Das Messingbett glänzte. In seinen Augen lag keine Einladung, es mit ihm zu teilen. Sie dachte an die Straßen, die sie erwarteten. Und entschied sich eigensinnig für sie.
»Ich kann nicht hier in Ihren Privaträumen bleiben«, erklärte sie bestimmt. Und klang wie die vierunddreißigjährige Gouvernante und alte Jungfer, die sie einmal war.
»Sie sind mit der Bereitschaft hergekommen, weitaus mehr zu tun als lediglich in meinem Bett zu schlafen, Mademoiselle.«
Die Erinnerung an seine Zurückweisung, als sie ihn zu berühren versucht hatte, nagte an ihr. »Aber Sie wollen mich nicht … auf diese Weise.«
Ihr Mund klappte hörbar zu. Warum hatte sie das gesagt?
Gabriel hatte behauptet, wenn er sie nähme, werde sie sterben.
»Wenn das vorbei ist, zahle ich Ihnen zweitausend Pfund«, bot Gabriel an.
Mit zweitausend Pfund könnte Victoria den Rest ihres Lebens behaglich leben. Ohne Angst vor Hunger. Kälte. Vor einem Mann, der nur darauf wartete, ihr die Jungfräulichkeit zu rauben …
»Ich habe kein Verlangen nach Geld, das ich nicht verdiene.« Victoria zuckte zusammen. Selbst in ihren Ohren klang sie selbstgerecht.
»Dann verschaffe ich Ihnen eine Anstellung«, erklärte der Mann mit den silbernen Augen ruhig.
»Als Gouvernante?«, fragte sie. Und überlegte, wieso sie nicht mehr Begeisterung für den Gedanken aufbrachte, wieder in ihrem Beruf zu arbeiten.
»Ja.«
»Ich glaube kaum, dass Familienväter erpicht darauf wären, eine Gouvernante einzustellen, die sich im Haus Gabriel aufgehalten hat.«
»Mademoiselle, meine Kunden würden wesentlich lieber eine Gouvernante einstellen, die mein Gast war, als ihre geschlechtlichen Vorlieben bekannt werden zu lassen.«
Eigentlich sollte Victoria nicht überrascht sein. Wieso war sie es doch?
»Das ist Erpressung«, sagte sie unsicher.
»Das ist der Preis der Sünde«, erwiderte er unerbittlich.
»Sie bieten mir also Ihren Schutz an«, sagte sie langsam und versuchte, vernünftig nachzudenken, nicht in Panik zu geraten.
»Ich biete Ihnen meinen Schutz an.«
Sie empfand plötzliche Erleichterung. Und verachtete sich dafür.
Sie wollte nicht auf einen Mann angewiesen sein. Nicht für Essen. Nicht für ein Dach über dem Kopf. Nicht für körperliche Befriedigung.
»Für wie lange?«, fragte Victoria kurz angebunden.
»So lange wie nötig.« So lange wie nötig war, um einen Mann aufzuspüren, meinte er. Und ihn zu töten.
»Woher wissen Sie, dass ich nicht die Komplizin dieses Mannes bin?«
Entsetzen wallte in Victoria auf. Das konnte sie unmöglich gesagt haben. Aber sie hatte es gesagt.
»Woher wissen Sie, dass ich Ihnen dieses Angebot nicht
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