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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Schone
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setzte Victoria sich; Leder knarrte, Seide raschelte. Behutsam nahm sie eine mit Rosenblüten bedruckte Schachtel. Sie war erstaunlich schwer. Neugierig hob sie den Deckel ab. Die Schachtel war voller Handschuhe – Wollhandschuhe, Lederhandschuhe, weiße Seidenhandschuhe, lange seidene Abendhandschuhe. Alle waren rot befleckt. Jemand hatte Tinte darüber vergossen.
    Victoria runzelte die Stirn.
    In zwei schwarze Lederhandschuhe waren die Hände einer Schaufensterpuppe gestopft, als habe man sie aus einem Schaukasten genommen. Langsam ging Victoria auf, dass die Hände in den schwarzen Lederhandschuhen nicht aus Holz waren: Sie waren aus Fleisch und Blut. Es waren die Hände eines Menschen. Und die roten Tintenflecken auf den Handschuhen waren Menschenblut.

Kapitel 13
    »Mein Gott«, hallte es in Victorias Ohren.
    Es war eine Frauenstimme, aber sie klang nicht wie Victorias Stimme. Sie kam von weit, weit her. Zu weit, um von Victoria zu stammen.
    Eben noch lag die Schachtel auf ihrem Schoß, im nächsten Augenblick war sie fort. Benommen hielt Victoria den Deckel in Händen und schaute auf. Gabriels Gesicht war Schwindel erregend nah. Er hat feine Poren, dachte sie. Seine Haut war glatt wie bei einem Säugling.
    Silberne Augen fingen ihren Blick ein.
    Eine seidige Männerstimme schoss durch ihre Erinnerung … Wenn sie noch nicht tot ist, wird sie es bald sein .
    »Es ist die Prostituierte …« Victoria konnte sich nicht dazu durchringen, die abgetrennten Körperteile zu benennen. »Sie ist es.«
    »Wahrscheinlich.«
    Gabriel richtete sich auf, sein Gesicht wich zurück. Er hielt die Schachtel in seinen langen, weißen Fingern.
    Victoria ließ den Deckel fallen. »Es ist nicht Madame …«
    »Nein, es ist nicht Madame René.« In Gabriels Augen lag keinerlei Regung – weder Freude noch Entsetzen. »Ihre Hände sind schmaler.«
    Noch nie war Victoria in Ohnmacht gefallen. Sie hatte auch noch nie in Ohnmacht fallen wollen. Jetzt wollte sie es.
    Schlagartig fiel Victoria ein, dass es noch einen anderen Menschen gegeben hatte, der über ihre Leibwäsche Bescheid wusste.
    »Dolly wusste, dass ich Seidenunterhosen trage«, flüsterte sie.
    Und nun war Dolly tot. Wie Gabriel vorausgesagt hatte. Victoria schluckte schwer. Der Raum schwankte.
    »Legen Sie den Kopf zwischen Ihre Beine«, sagte eine scharfe Stimme.
    Victoria musterte die anderen Schachteln – die drei Kleiderkartons waren lang genug für einen Torso. Die drei runden Hutschachtel waren hoch genug für einen Kopf …
    Eier, Schinken und Croissant stiegen ihr in die Kehle. Sie sprang auf, verhaspelte sich mit den Füßen. Der Seidenknoten zwischen ihren Brüsten löste sich, die Decke rutschte an ihrem Körper herunter. Victoria lief ins Bad.
    Gabriel hatte vom Tod gesprochen, aber er war ihr nicht wirklich erschienen; jetzt war er allzu real.
    Victoria fragte sich, ob Madame René über ihren schwachen Magen enttäuscht wäre. Dann fragte sie sich gar nichts mehr. Sie sank vor der Porzellantoilette auf die Knie. Und erinnerte sich an weitere Gesprächsfetzen zwischen ihr und Gabriel.
    Haben Sie vor mich zu töten, um mir diesen … Tod zu ersparen? Letzten Endes wären Sie mir dankbar .
    Vielleicht.

    Gabriel öffnete eine Hutschachtel. Ein blutrot befleckter Hut saß auf einem Frauenkopf. Der Tod hatte Dollys Schmerz und Entsetzen ausgelöscht. Gabriel öffnete die zweite Hutschachtel. Ein eleganter Windsor-Hut mit kurzem schwarzem Schleier lag darin. Kein Tod. Gabriel öffnete die dritte Hutschachtel. Das Hütchen mit der frivolen Feder saß auf einem Männerkopf, dessen graues Haar rot verschmiert war. Gerald Fitzjohns Gesicht war schlaff.
    Gabriel sah Victorias Freude. Er sah Victorias Entsetzen.
    Für einen kurzen Augenblick hatte er ihre Freude geteilt. Ihr Entsetzen teilte er nicht: Gabriel hatte zu lange auf der Straße gelebt, um vor dem Anblick des Todes zurückzuschrecken. Dollys und Fitzjohns Tod war beschlossene Sache gewesen. Nun waren sie gestorben.
    Der Preis der Sünde: Erpressung. Tod.
    Haben Sie gesündigt, Mademoiselle?
    Noch nicht .
    Gabriel schloss die Deckel der drei Schachteln. Dann ging er um den Schreibtisch herum und drückte auf eine Klingel unter der schwarzen Marmorplatte. Mit einigen langen Schritten war er an der Satinholztür und riss sie auf.
    Ein Mann mit mahagonifarbenem Haar ging in Hab-Acht-Stellung. »Monsieur Gabriel, Sir!«
    »Räum die Schachteln auf dem Sofa fort, Evan«, befahl Gabriel ruhig, obwohl in ihm

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