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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Schone
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Blau …
    Victoria sah Männer; Victoria sah Frauen.
    Victoria sah die Welt, die Michael und Gabriel beherrscht hatten. Eine Welt, in der keine Berührung verboten und Lust der Lohn der Begierde war.
    Victoria sah nacktes Verlangen in all seinen Erscheinungsformen …

Kapitel 15
    Victoria spürte sofort, als Gabriel in den Korridor kam.
    Sie waren zwei Spiegelbilder im Glas, eine dunkelhaarige Frau, der man beigebracht hatte, dass Berührungen moralisch verwerflich sind, und ein silberblonder Mann, der in den Wonnen des Fleisches geschwelgt hatte, ohne je ihre Schönheit zu erfahren.
    Der Mann und die Frau auf der anderen Seite des Glases erlebten sowohl die Wonne als auch die Schönheit. Sie berührten sich, weibliche Hände glitten über hartes männliches Fleisch; männliche Hände glitten über weiches weibliches Fleisch. Sie küssten sich, Lippen streiften sich, hingen aneinander, verschlangen sich. Sie umarmten sich, Brust an Brust, Bauch an Bauch, Schenkel an Schenkel.
    Er war jung und gut aussehend; sie war weder jung noch schön.
    Sie waren blind für ihren Altersunterschied und die Diskrepanz ihrer äußeren Reize. Leidenschaft machte sie zu Partnern; Verlangen machte sie zu Gleichgestellten.
    »Können sie uns sehen?«, fragte Victoria leise.
    »Nein.« Gabriels Stimme war merkwürdig angespannt. »Sie sehen einen Spiegel.«
    Während Victoria und Gabriel ein Fenster sahen. Und hinter diesem Fenster den Mann und die Frau, die weder Gabriel noch Victoria zu sein wagten.
    »Wie kommt es, dass wir sie sehen, sie aber einen Spiegel sehen?«
    »Der Spiegel ist nur halb versilbert.« Gabriels Blick wich nicht von dem Mann und der Frau. »Starkes Licht wird vom Silber reflektiert wie in einem richtigen Spiegel, sodass eine Person ihr Spiegelbild sieht statt Glas, aber wenn sowohl hinter als auch vor dem Glas starkes Licht wäre, würde es transparent.«
    Von solchen Spiegeln hatte Victoria noch nie gehört.
    »Können sie uns hören?«, fragte sie leise.
    »Nicht wenn wir leise sprechen.«
    Der Mann und die Frau trennten sich. Sie sprach; er antwortete.
    Victoria sah, wie ihre Lippen sich bewegten; aber sie konnte nicht hören, was sie sagten. Sie konnte sie nur beobachten. Und sich die Worte vorstellen, die sie raunten.
    Worte, die die Leidenschaft einer Frau priesen.
    Worte, die das Verlangen eines Mannes würdigten.
    Worte, die Victoria nie gehört oder gesagt hatte, aber gern hören und sagen würde, bevor sie starb.
    Der Mann ging zu einem Mahagoninachttisch – seine Männlichkeit ragte in die Luft, zwei ledrige Beutel baumelten darunter – und nahm einen weißen Tiegel.
    Victoria hatte auf der Straße gesehen, wie Männer ihr Gemächt zur Schau stellten; aber noch nie hatte sie einen völlig nackten Mann gesehen. Pobacken wie gemeißelt, Muskeln genau abgezeichnet, Körper behaart.
    Der Anblick war atemberaubend.
    »Wissen Sie, dass der Spiegel kein … Spiegel ist?«, fragte Victoria.
    Sie klang atemlos.
    Sie war atemlos.
    Die Briefe hatten von vielen Dingen gesprochen, die sie in dieser Nacht mit eigenen Augen gesehen hatte, doch sehen war viel fesselnder als lesen.
    »Der Mann weiß es«, sagte Gabriel. Dass der Mann ein Prostituierter war, brauchte er nicht erst zu sagen.
    »Aber die Frau nicht?«
    »Vielleicht hat er es ihr gesagt.« Der Mann und die Frau auf der anderen Seite des Spiegels waren überlagert von Gabriels silbernen Augen. »Sie kam einmal im Monat in das alte Haus.«
    Das Haus, das abgebrannt war.
    Victoria wollte nicht an Feuer denken. Zerstörung. Tod.
    »Mit demselben Mann?«, fragte Victoria mit trockenem Mund und geröteter Haut.
    »Ja.«
    »Sie haben sie schon früher zusammen gesehen.«
    »Gelegentlich.«
    Sie musterte sein Spiegelbild. »Sie beobachten Leute, wenn sie sich geschlechtlich vereinigen.«
    »Im Haus Gabriel geht es um ein Gewerbe, Mademoiselle. In diesem Gewerbe sterben manchmal Männer und Frauen. Es ist meine Aufgabe sicherzustellen, dass in meinem Haus niemand stirbt.«
    Gabriel war kein eitler Mensch. Dennoch hatte er seinem Haus seinen Namen gegeben …
    »Warum haben Sie es Haus Gabriel genannt?«
    »Damit der zweite Mann weiß, wo er mich findet.«
    Victoria schluckte. »Gibt es einen ersten Mann?«
    »Er ist tot.«
    Durch Gabriels Hand. Victoria versuchte, dieses neue Puzzleteil in den Rahmen ihres Lebens einzupassen.
    »Sie haben gesagt, dass Sie Leute erpressen.«
    Nun wusste Victoria, wie er die Informationen bekam, mit denen er sie erpressen

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