Abgrund der Lust
mich missverstanden«, sagte Gaston hastig. »Ich wollte Ihnen nicht meine Dienste anbieten; Monsieur Gabriel beschäftigt Zofen. Ich werde Ihnen eine schicken.«
Victoria hatte sich allein angezogen, seit sie das Haus ihres Vaters verlassen hatte.
»Vielen Dank, aber das ist nicht nötig.«
» Mais oui , es ist nötig, Mademoiselle«, versicherte Gaston ihr. »Monsieur Gabriel hat Anweisung gegeben, dass wir uns um all ihre Bedürfnisse kümmern.«
Victoria konnte nicht gegen die glühende Hitze an, die ihr in die Wangen stieg. »Ich versichere Ihnen, Sir, meine Bedürfnisse sind vollauf befriedigt.«
» C'est très bon – es ist gut, dass Sie gekommen sind.« Das wissende Funkeln in Gastons braunen Augen war unverkennbar. »Monsieur Gabriel, er war lange allein.«
Gabriel hatte einen Höhepunkt als Kommen bezeichnet. Gaston meinte doch sicher nicht …
»Er erlaubt mir nicht, ihn anzurühren«, platzte Victoria heraus.
Sie biss sich auf die Lippen – zu spät. Die Worte hallten nach.
Gastons braune Augen verurteilten sie nicht. »Aber er hat Sie angerührt, n'est-ce pas ?«
Ihre Lippen waren geschwollen, ihre Augen umschattet.
»Ja.« Victoria straffte die Schultern. »Er hat mich angerührt.«
Langsam faltete Gaston das Kleid zusammen. »Monsieur Gabriel hat keine Frau – und keinen Mann – angerührt, seit ich bei ihm bin, Mademoiselle.«
Victoria schnürte es die Kehle zu. »Wie lange sind Sie schon bei ihm?«
Der brünette Franzose legte das hübsche goldbraune Kleid ordentlich zurück in die Schachtel. »Ich bin seit vierzehn Jahren bei Monsieur Gabriel.«
»Sind Sie sein Freund?«
Der mit Rosen bedruckte Deckel glitt über das Seidenkleid.
»Wir im Haus Gabriel sind nicht seine Freunde, Mademoiselle.«
Victorias Augen weiteten sich erstaunt.
Nachdem das Kleid wieder sicher verstaut war, hob Gaston langsam die dunklen Wimpern. Victoria schaute in Gabriels Augen, nur waren sie braun statt silbergrau.
»Wir sind seine Familie«, erklärte Gaston ausdruckslos. »In diesem Haus sind wir alle füreinander eine Familie.«
Auch Gaston hatte die Straße überlebt.
»Sind Sie … ein Prostituierter?«, fragte sie impulsiv.
Gaston zuckte nicht mit der Wimper. » Oui , Mademoiselle, ich war ein Prostituierter, wenn Kunden mich wollten. Wenn nicht, war ich – wie sagen Sie Engländer, ein Taschendieb und Mörder.«
Victoria atmete tief durch. »Ich nehme an, Sie sind nicht mehr in ihren früheren Berufen tätig.«
Plötzlich schwand die kalte Teilnahmslosigkeit der Straße aus Gastons Augen. Sie funkelten gewinnend. » Non , Mademoiselle, ich bin nicht mehr als Taschendieb und Mörder tätig. Monsieur Gabriel hätte es nicht gern, wenn wir seine Kunden bestehlen oder umbringen würden. Ich kümmere mich um Monsieur Gabriel und sein Haus.«
Und um die Bediensteten, die im Haus Gabriel arbeiteten. Eine Familie von Prostituierten, Dieben und Mördern.
Victoria straffte die Schultern. »Ich bin erleichtert, das zu hören, Sir.«
»Mademoiselle.« Aus Gastons Augen sprach Bewunderung und Humor. »Ihr Frühstück steht im Arbeitszimmer bereit. Sie können gleich essen oder warten, bis eine Zofe Ihnen beim Ankleiden geholfen hat.«
Als Gouvernante hatte Victoria mit den Dienstboten gegessen. Sie war es nicht gewohnt, sich bedienen zu lassen. Die Verlegenheit schwand angesichts der neuen Erfahrung, verwöhnt zu werden.
»Wirklich, Monsieur, ich brauche die Dienste einer Zofe nicht. Aber vielen Dank. Ich werde das Frühstück genießen – und die Kleider. Sie sind sehr schön.«
Gaston wirkte erfreut über ihr Lob. »Wenn Sie irgendetwas brauchen, scheuen Sie sich nicht, danach zu fragen.«
Sie musste einen Engel heilen. Dazu gab es nur einen Weg. Victoria schaute in Gastons freundliche braune Augen und fragte nach dem, was sie brauchte. Was Gabriel brauchte.
Kapitel 19
Ein Schatten fiel auf Victoria. Gabriels Bild lag schwer auf ihren Lidern, ihren Brüsten, ihrem Bauch und ihren Schenkeln.
Sofort wachte sie mit klopfendem Herzen und stockendem Atem auf.
Die Badezimmertür schwang leise zu. Ein schmaler Lichtstreifen drang durch den Spalt zwischen Tür und Fußboden.
Gabriel war zurückgekommen. Sie schlug die Bettdecke zurück und glitt zwischen den Leinenlaken heraus. Ihre Brustwarzen verhärteten sich. Vor Kälte, sagte sie sich. Und wusste, dass es vor Angst war.
Victoria freute sich nicht auf die Rolle, die sie in dieser Nacht spielen musste, aber sie würde sie spielen.
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