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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Schone
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Sie würde einen Engel befreien.
    Orange-blaue Flammen züngelten an geschwärztem Holz.
    Das Feuer verlöschte aus Mangel an Fürsorge.
    Victoria war verloschen, seit ihre Mutter sie bei einem kalten, lieblosen Vater zurückgelassen hatte. Gabriel war jedes Mal ein bisschen verloschen, wenn er Lust geschenkt, aber selbst keine Lust empfangen hatte.
    Der weiße Tiegel auf dem Nachttisch zeichnete sich verschwommen im schwachen Licht ab. Mehr Licht brauchte Victoria nicht. Sie streckte die Hand aus, tastete … Metall. Die Silberdose mit den Kondomen.
    Sie ließ die Dose los und tastete nach dem Glastiegel, den Gaston ihr vorher gebracht hatte. Mit zitternden Fingern schraubte Victoria den Deckel ab und legte ihn vorsichtig auf den Nachttisch. Das Klirren von Metall auf Metall fuhr Victoria über den Rücken.
    Sie hatte den Deckel auf die kleine Dose gelegt. Sie konnte nur hoffen, dass ihre Entscheidung weniger ungeschickt war als ihre Bewegungen.
    Der glatte Holzboden war kalt, hart. Ihre Brüste – passable Brüste, hatte Madame René gesagt; Symbole für die Sünde einer Frau, hatte ihr Vater behauptet – ragten in die Luft.
    Gabriel hatte Victorias Brüste gesehen; sie hatte ihn nicht gesehen.
    Gabriel hatte Victoria berührt; Victoria hatte Gabriel nicht berührt.
    Noch nicht.
    Gott stehe ihr bei, wenn sie es täte, hatte Gabriel gesagt. Weil er es nicht konnte. Oder wollte.
    Victoria öffnete die Badezimmertür. Sie spürte Gabriels Wachsamkeit, sobald sie eintrat.
    Eine lange, elegante Hand griff aus den Tiefen der Dusche und drehte an einem Wasserhahn. Wasser spritzte in die Stille; Dampf quoll aus der Holzverkleidung.
    Den Glastiegel mit Gleitcreme, um die sie Gaston gebeten hatte, fest in der Hand, trat Victoria vor.
    Gabriel hielt das Gesicht in den Brausestrahl, sein Haar war glatt und dunkel. Wasser lief über seinen muskulösen Rücken, seine straffen Pobacken und seine langen, langen Beine.
    Er war schön. Viel, viel schöner als jeder andere Mann, den sie je gesehen hatte.
    Gabriel wusste, dass Victoria ins Badezimmer gekommen war. Er wusste, dass Victoria ihn beobachtete.
    Er wusste, was Victoria vorhatte.
    Langsam senkte er den Kopf. Seine vom Wasser dunklen Haare schmiegten sich an seinen Hinterkopf, formten seinen Nacken nach.
    »Wenn du mich anrührst, bringe ich dich um, Victoria.«
    Gabriels Stimme klang distanziert; Spannung drang durch das Wasser und den dichter werdenden Dampf.
    »Ich wäre nicht hier, wenn du nicht wolltest, dass ich dich berühre, Gabriel«, erwiderte Victoria ruhig. Und wusste, dass es der Wahrheit entsprach.
    Der Mann, der dafür verantwortlich war, dass sie im Haus Gabriel war, kannte Gabriels Bedürfnisse. Er hatte ihm Victoria geschickt, um sie zu befriedigen.
    »Mein Name ist nicht Gabriel.«
    Victoria stählte sich für die Wahrheiten, die sie heute Nacht erfahren würde. »Wie ist er dann?«
    » Garçon . Con . Fumier .«
    Victoria wusste, dass garçon französisch war und Junge hieß. Con und fumier waren Vokabeln, die sie nicht kannte.
    »Wir sind nicht dafür verantwortlich, wie andere uns nennen«, erwiderte sie ruhig.
    »Wissen Sie, was con ist, Mademoiselle?«
    Gabriels Stimme hallte hohl in der Kupfergrotte über den stetigen Wasserstrahl hinweg.
    »Nein«, antwortete Victoria wahrheitsgemäß.
    »Es heißt Bastard. Wissen Sie, was fumier heißt?«
    »Nein.« Aber sie zweifelte nicht daran, dass Gabriel es ihr sagen würde. »Ich weiß es nicht.«
    » Fumier heißt Miststück. Die Gosse ist voller Jauche; ich wurde in der Gosse geboren. Ich habe in der Gosse gelebt. Ein namenloser Bastard. Nicht die Hurerei hat mich zu dem gemacht, was ich bin«, sagte Gabriel in den dichter werdenden Dampf, während das Wasser auf ihn herabprasselte, »sondern die Tatsache, zu leben.«
    Der Preis des Überlebens.
    »Leben ist keine Sünde, Gabriel.«
    Leben ist keine Sünde. Lieben ist keine Sünde.
    Victoria wusste, dass es weit mehr als Worte erfordern würde, Gabriel von der Wahrheit ihrer Äußerung zu überzeugen.
    »Ich habe einmal ein Buntglasfenster in einer Kathedrale gesehen.Darauf waren zwei Engel; ich wusste nicht, dass es Engel waren. Einer hatte dunkles Haar, der andere blondes. Eine alte Frau saß auf den Stufen zur Kirche, in England würde man sie als Kriecherin bezeichnen, eine Frau, die Bettler anbettelt. Ich fragte sie, wer les deux hommes  – die beiden Männer – seien. Sie sagte, sie seien Engel. Der blonde Engel sei Gabriel, der Bote Gottes.

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