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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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üblichen Proteste von Ländern und Vereinigungen. Die Stimmung wurde noch ein wenig gereizter als sonst. Kürzlich war außerdem ans Tageslicht gekommen, dass N’AmPaz vor einigen Wochen einen relativ harmlosen koreanischen Schlammwühler in die Luft gesprengt hatte, der sich unerlaubt auf seinem Gebiet befand.
    Die regionalen Nachrichten waren kaum besser. Etwa dreihundert Menschen starben bei der Explosion einer Brandbombe, die den größten Teil der Urchin Shipyards in der Nähe von Portland zerstörte. Dafür, dass der Angriff um zwei Uhr morgens stattfand, waren erstaunlich viele Menschen dabei ums Leben gekommen; allerdings grenzte die Werft an die Flüchtlingszone, und einige der Flüchtlinge waren von dem Feuersturm erfasst worden. Motive waren keine bekannt, doch es gab gewisse Übereinstimmungen mit einer deutlich kleineren Explosion, die einige Wochen zuvor in dem mehrere hundert Kilometer weiter nördlich gelegenen Coquitlam Burb stattgefunden hatte. Diese war mit Bandenkriegen in Verbindung gebracht worden.
    Und auch unter den Flüchtlingen, die dauerhaft in der Zone an der Küste gefangen waren, war es zu verstärkten Unruhen gekommen. Die zuständigen Instanzen hatten wieder einmal ihre üblichen Argumente heruntergeleiert: Die Meeresküste ist heutzutage die einzige Gegend, wo noch freies Land zur Verfügung steht. Außerdem, können Sie sich vorstellen, was es kosten würde, eine Kanalisation für sieben Millionen Menschen anzulegen, wenn wir die Flüchtlinge ins Inland lassen würden?
    Eine weitere Quarantäne war verhängt worden, dieses Mal wegen irgendeines Fadenwurms, der vor Kurzem am Oberlauf des Ivindo aufgetaucht war. Keine Neuigkeiten über den Nordpazifik. Und auch nichts über den Juan-de-Fuca-Meeresrücken.
    Nach zwei Wochen der Gefangenschaft stellte Scanlon fest, dass die Symptome, die er sich anfangs eingebildet hatte, allesamt verschwunden waren. Er fühlte sich sogar so gut wie schon seit Jahren nicht mehr. Dennoch wurde er nicht freigelassen. Offenbar musste man noch weitere Tests durchführen.
    Nach einer Weile verwandelten sich die Todesängste, die er am Anfang ausgestanden hatte, in einen chronischen dumpfen Schmerz in der Magengegend, so diffus, dass er ihn kaum noch wahrnahm. Eines Tages wachte er mit einem beinahe überwältigenden Gefühl der Erleichterung auf. Hatte er wirklich geglaubt, die NB würde ihn bis an sein Lebensende gefangen halten? War er tatsächlich so paranoid gewesen? Ihnen ging es lediglich um seine Gesundheit. Verständlich, denn schließlich war er für sie von großem Wert. Anfangs hatte er diese Tatsache aus den Augen verloren. Doch die Vampire bereiteten ihnen immer noch Probleme, sonst würde Rowan nicht ständig über den Rechner ihre Marionette zu ihm schicken. Und die NB hatte Yves Scanlon ausgewählt, sich mit dem Problem zu befassen, weil sie wussten, dass er für diese Aufgabe am besten geeignet war. Sie schützten lediglich ihre Investition, um sicherzustellen, dass ihm auch wirklich nichts fehlte. Er lachte laut bei dem Gedanken, wie viele Ängste er noch vor Kurzem ausgestanden hatte. Es gab wirklich keinen Grund zur Sorge.
    Außerdem verfolgte er die Nachrichten, und hier drin war es bedeutend sicherer als draußen.

Enema
    Natürlich sprach er nur nachts mit ihm.
    Nachdem es den ganzen Tag über Proben genommen und Scans durchgeführt hatte und schließlich mit zusammengefalteten Armen und abgeschalteten Lichtern an der Decke hing. Er wollten nicht, dass die Gespenster ihn hörten. Nicht etwa, dass es ihm peinlich gewesen wäre, sich mit einer Maschine zu unterhalten. Scanlon wusste genug über das menschliche Verhalten, um sich über eine solch harmlose Marotte keine weiteren Gedanken zu machen. Einsame End-User verliebten sich ständig in VR-Simulationen. Programmierer entwickelten ein Verhältnis zu ihrer eigenen Schöpfung und erfüllten in ihrer Vorstellung jede noch so vorhersehbare Antwort mit Leben. Teufel auch, manch einer redete sogar mit seinem Kopfkissen , wenn es keine anderen Alternativen gab. Der Verstand ließ sich davon natürlich nicht täuschen, doch das Herz schöpfte Trost daraus. Das war vollkommen normal, vor allem während längerer Zeiten der Isolation. Nichts, worüber man sich die geringsten Sorgen machen musste.
    »Sie brauchen mich«, erzählte Scanlon gerade dem Teleoperator, während die Raumbeleuchtung so weit heruntergedreht war, dass er kaum noch etwas erkennen konnte. »Ich kenne die Vampire besser als

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