Abgrund: Roman (German Edition)
verwandelt. Oder vielleicht ist es tatsächlich harmlos. Vielleicht haben Sie auch nur jemanden in der Chefetage verärgert.«
Scanlon zuckte zusammen. »Die Chefetage hat nichts gegen mich. Wonach suchen Sie eigentlich?«
»Pyranosyl-RNA.«
»Ich … ich erinnere mich nicht so recht, was das ist.«
»Es besteht auch kein Grund dazu. Schließlich ist sie schon vor über dreieinhalb Milliarden Jahren aus der Mode gekommen.«
»Ohne Scheiß?«
»Wenn Sie es sagen.« Die Messsonde zog sich zurück. »In der Urzeit war sie weit verbreitet, bis …«
»Entschuldigung«, ertönte die Stimme von Patricia Rowan.
Scanlons Blick wanderte unwillkürlich zum Bildschirm hinüber, doch dort war nichts zu sehen. Die Stimme war durch den Vorhang gekommen.
»Ah. Sie haben Besuch. Gut, ich habe ja, was ich wollte.« Der Arm schwang herum und verstaute die verunreinigte Messsonde hinter einer Klappe in der Wand. Bis Scanlon die Hose hochgezogen hatte, hatte der Teleoperator seine Gliedmaßen wieder zusammengefaltet.
»Na dann, bis morgen«, sagte der Poltergeist und verschwand. Die Lichter am Teleoperator erloschen.
Sie war hier.
Im Nachbarraum.
Seine Rehabilitation stand kurz bevor.
Scanlon holte tief Luft und zog den Vorhang auf.
Patricia Rowan stand in der Dunkelheit auf der anderen Seite. Ihre Augen glitzerten quecksilberartig – beinahe wie die der Vampire, doch irgendwie wässriger. Durchscheinend, nicht undurchsichtig.
Natürlich waren es Kontaktlinsen. Scanlon hatte schon einmal ein ähnliches Paar ausprobiert. Sie stellten eine Verbindung zu dem schwachen Funksignal der Armbanduhr ihres Trägers her und projizierten in einer Entfernung von vierzig Zentimetern Bilder in sein Blickfeld.
Patricia Rowan erblickte Scanlon und lächelte. Was sie sonst noch durch ihre magischen Linsen sah, konnte er nur vage erraten.
»Dr. Scanlon«, sagte sie. »Schön, Sie wiederzusehen.«
Er erwiderte ihr Lächeln. »Freut mich, dass Sie mich besuchen. Wir haben eine Menge zu bereden …«
Rowan nickte und öffnete den Mund, um etwas zu erwidern.
»… Ihre Doppelgänger sind zwar durchaus in der Lage, eine normale Unterhaltung zu führen, doch ihnen entgehen eine Menge der Zwischentöne …«
Rowan schloss den Mund wieder.
»… besonders, was die Art von Informationen anbelangt, an denen Sie interessiert zu sein scheinen.«
Rowan zögerte einen Moment. »Ja. Sicher. Wir … ähm … wir brauchen Ihre fachliche Meinung, Dr. Scanlon.« Gut. Natürlich. »Ihr Bericht über die Station Beebe war sehr … nun ja, aufschlussreich, doch seither hat sich einiges verändert.«
Er nickte nachdenklich. »In welcher Hinsicht?«
»Zum Beispiel ist Lubin fort.«
»Fort?«
»Verschwunden. Möglicherweise tot, obwohl sein Totmannschalter offenbar nicht ausgelöst wurde. Oder vielleicht ist er auch einfach … abgeglitten, so wie Fischer.«
»Verstehe. Und hat auf den anderen Stationen sonst noch jemand den Verstand verloren?« Das war eine der Vorhersagen, die er in seinem Bericht getroffen hatte.
Ihre aus flüssigem Silber bestehenden Augen schienen auf einen Punkt neben seiner linken Schulter gerichtet zu sein. »Wir wissen es nicht. Selbstverständlich hat es auch dort einige Verluste gegeben, aber die Rifter sind nicht sonderlich mitteilsam, was Einzelheiten anbelangt. Wie wir natürlich vorausgesehen haben.«
»Ja, natürlich.« Scanlon setzte eine grüblerische Miene auf. »Lubin ist also verschwunden. Das überrascht mich nicht. Er war auf jeden Fall am meisten gefährdet. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich sogar vorhergesagt …«
»Wahrscheinlich spielt es keine Rolle«, murmelte Rowan.
»Wie bitte?«
Sie schüttelte den Kopf, als würde sie sich von irgendetwas losreißen. »Ach, nichts. Entschuldigen Sie.«
»Ah.« Scanlon nickte erneut. Warum auf Lubin herumreiten, wenn Rowan kein Interesse an ihm hatte? Er hatte noch zahlreiche andere Vorhersagen getroffen. »Außerdem ist da noch die Sache mit dem Ganzfeld-Effekt, den ich bemerkt habe. Die verbliebene Mannschaft …«
»Ja, wir haben mit einigen anderen … Fachleuten darüber gesprochen.«
»Und?«
»Sie glauben nicht, dass die Riftzone ›reizarm genug‹ ist, wie Sie sich ausgedrückt haben. Jedenfalls nicht genug, um als Ganzfeld zu dienen.«
»Verstehe.« Scanlon spürte, wie ein Teil seines früheren Ichs wütend wurde. Doch er lächelte, ohne ihm weitere Beachtung zu schenken. »Und wie erklären sich diese Fachleute dann meine
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