Abgrund: Roman (German Edition)
jeder andere. Ich habe mit ihnen zusammengelebt. Ich habe sie überlebt . Diese … diese Landratten hier oben wollen sie doch nur benutzen.« Er blickte hoch. Der Teleoperator hing in dem trüben Licht über ihm wie eine Fledermaus. Er reagierte nicht auf seine Worte, und irgendwie hatte das etwas Tröstliches.
»Ich glaube, Rowan wird sich bald geschlagen geben. Ihre Marionette hat gesagt, dass sie versucht, Zeit für einen Besuch zu finden.«
Keine Antwort.
Scanlon betrachtete die schlafende Maschine und schüttelte den Kopf. »Ich verliere den Verstand, weißt du? Irgendwann ist nur noch mein Hirnstamm übrig, jawohl.«
Inzwischen gestand er sich das nur noch selten ein. Und gewiss nicht mit dem selben Gefühl von Entsetzen und Unsicherheit, das er noch vor einer Woche verspürt hatte. Doch nach allem, was er in letzter Zeit erlebt hatte, war es vollkommen normal, dass er sich an die neue Situation erst einmal gewöhnen musste.
Er befand sich in Quarantäne, nachdem er sich möglicherweise mit einem unbekannten Krankheitserreger angesteckt hatte. Und davor hatte er einen Spießrutenlauf absolvieren müssen, der die meisten Menschen in den Wahnsinn getrieben hätte. Und davor …
Ja, er hatte eine Menge durchgemacht. Doch er war ein Profi. Er konnte sich immer noch sehr gut selbst analysieren. Und damit hatte er den meisten Menschen einiges voraus. Jeder wurde schließlich von Zweifeln und Unsicherheiten geplagt. Die Tatsache, dass er stark genug war, sich die seinen einzugestehen, machte ihn nicht zu einem Freak. Ganz im Gegenteil.
Scanlon blickte zur gegenüberliegenden Seite des Raumes hinüber. Ein aus einer Isolationsmembran bestehendes Fenster erstreckte sich über die obere Hälfte der Wand und ging auf eine kleine dunkle Kammer hinaus, die seit seiner Ankunft hier leer gewesen war. Schon bald würde Patricia Rowan darin auftauchen. Sie würde sich persönlich Scanlons neueste Erkenntnisse anhören. Und wenn sie nicht längst von seinem Wert überzeugt war, würde sie es hinterher jedenfalls sein. Das lange Warten auf Anerkennung war beinahe vorbei. In nicht allzu langer Zeit würde sich alles zum Besseren wenden.
Yves Scanlon streckte die Hand aus und berührte eine der schlafenden Metallklauen. »So gefällst du mir besser«, stellte er fest. »Weniger … feindselig. Ich frage mich, wie deine Stimme morgen wohl klingen wird.«
Sie klang wie ein jugendlicher Hochschulabgänger und benahm sich auch so. Sie forderte ihn auf, die Hose herunterzulassen und sich vorzubeugen.
»Lecken Sie mich doch im Arsch«, sagte Scanlon prompt, nun wieder sorgsam auf sein Auftreten bedacht.
»Ihr Wunsch ist mir Befehl«, sagte die Maschine und wedelte mit einer bleistiftförmigen Messsonde am Ende eines ihrer Arme. »Kommen Sie schon, Dr. Scanlon. Sie wissen doch, dass es nur zu Ihrem Besten ist.«
In Wahrheit war er davon ganz und gar nicht überzeugt. In letzter Zeit hatte er sich des Öfteren gefragt, ob die Demütigungen, die er hier drinnen erdulden musste, nicht womöglich auf den fehlgeleiteten Sadismus irgendeines verklemmten Arschlochs zurückzuführen waren. Noch vor ein paar Monaten hätte ihn das in den Wahnsinn getrieben. Doch Yves Scanlon begann endlich seinen Platz im Universum zu erkennen und stellte fest, dass er es sich leisten konnte, tolerant zu sein. Die Engstirnigkeit anderer Menschen störte ihn inzwischen deutlich weniger als früher. Darüber war er längst hinaus.
Allerdings nahm er sich die Zeit, den Vorhang vor das Fenster zu ziehen, bevor er seinen Gürtel öffnete. Schließlich konnte Rowan jeden Moment auftauchen.
»Bewegen Sie sich nicht«, sagte der Poltergeist. »Es wird nicht wehtun. Manchen Leuten gefällt es sogar.«
Scanlon gefiel es nicht, und diese Erkenntnis erfüllte ihn mit einer gewissen Erleichterung.
»Wozu die Eile?«, beschwerte er sich. »Hier verlässt doch nichts meinen Körper oder gelangt in ihn hinein, ohne dass Sie an irgendeinem Hahn drehen. Warum untersuchen Sie nicht das, was ich in der Toilette hinunterspüle?«
»Das machen wir außerdem noch«, sagte die Maschine, während sie sich in ihn hineinbohrte. »Sogar schon seit Ihrer Ankunft hier. Aber man kann nie wissen. Manches zersetzt sich sehr schnell, sobald es den Körper verlassen hat.«
»Wenn es sich so schnell zersetzt, warum stehe ich dann immer noch unter Quarantäne?«
»He, ich habe nicht behauptet, dass es harmlos ist. Ich meinte nur, dass es sich womöglich in etwas anderes
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