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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Erfahrung voraussetzen.«
    »Willst du damit sagen, dass du kein Bewusstsein besitzt?«
    »Ich besitze ein Bewusstsein.«
    »Woher weißt du das?«
    »Die Definition trifft auf mich zu.« Das Gel hatte einen nasalen, leiernden Tonfall angenommen, der Scanlon ein wenig auf die Nerven ging. »Das Ich-Bewusstsein entsteht aus Quanteninterferenzmustern innerhalb der Mikrotubuli neuronaler Proteine. Ich verfüge über sämtliche notwendigen Teile, also besitze ich ein Bewusstsein.«
    »Du willst dich demnach nicht auf das alte Argument berufen, dass du ein Bewusstsein besitzt, weil du das Gefühl hast, dir deiner selbst bewusst zu sein?«
    »Das würde ich Ihnen auch nicht abkaufen.«
    »Richtig. Du hast also keine wirkliche Vorliebe für vorteilhaftes Verhalten?«
    »Nein.«
    »Warum änderst du dann dein Verhalten, wenn es für dich vorteilhaft ist?«
    »Es findet ein … Ausschlussprozess statt«, gab das Gel zu. »Verhalten, das keinen Vorteil bringt, wird verworfen, wohingegen vorteilhaftes Verhalten in der Zukunft … mit größerer Wahrscheinlichkeit auftritt.«
    »Und wie kommt das?«
    »Nun, meine wissbegierige junge Kaulquappe, vorteilhaftes Verhalten verringert den elektrischen Widerstand auf den entsprechenden Bahnen. Um dasselbe Verhalten in der Zukunft erneut hervorzubringen, ist also ein geringerer Reiz erforderlich.«
    »Nun gut. Um unser weiteres Gespräch zu erleichtern, möchte ich dich bitten, vorteilhaftes Verhalten künftig als gutes Gefühl zu beschreiben, und Verhalten, das du verwirfst, als schlechtes Gefühl. In Ordnung?«
    »In Ordnung.«
    »Wie fühlst du dich angesichts deiner derzeitigen Aufgabe?«
    »Gut.«
    »Wie hast du dich bei der Aufgabe gefühlt, die du in der Vergangenheit erledigt hast, nämlich dem Vernichten von Viren im Netz?«
    »Gut.«
    »Wie fühlst du dich, wenn du einen Befehl befolgst?«
    »Kommt auf den Befehl an. Wenn er zu einem vorteilhaften Verhalten führt, gut, ansonsten schlecht.«
    »Doch wenn ein schlechter Befehl mehrfach wiederholt werden würde, würdest du irgendwann ein gutes Gefühl dabei entwickeln?«
    »Das ist richtig«, sagte das Gel.
    »Wenn du den Befehl erhalten würdest, eine Runde Schach zu spielen, und das Spiel dich nicht bei der Ausführung deiner anderen Aufgaben behindert, wie würdest du dich dann fühlen?«
    »Habe noch nie Schach gespielt. Lassen Sie mich nachsehen.« Einen Moment lang herrschte Stille, während irgendwo ein Kloß aus Nervengewebe das konsultierte, was ihm als Nachschlagewerk dienen mochte. »Gut«, sagte das Gel schließlich.
    »Und wenn du nun unter denselben Bedingungen eine Partie Dame spielen solltest?«
    »Gut.«
    »Wenn du die Wahl zwischen Schach und Dame hättest, welches Spiel würde dir besser gefallen?«
    »Ah, besser . Ein seltsames Wort, nicht wahr?«
    »›Besser‹ ist die Steigerung von ›gut‹.«
    »Dame«, sagte das Gel ohne zu zögern.
    Natürlich .
    »Vielen Dank«, sagte Scanlon und meinte es auch so.
    »Wollen Sie mit mir Schach oder Dame spielen?«
    »Nein, danke. Ich habe dich lange genug von der Arbeit abgehalten.«
    »In Ordnung«, sagte das Gel.
    Scanlon berührte den Bildschirm, und die Verbindung wurde gekappt.
    »Nun?« Rowan beugte sich auf der anderen Seite der Barriere vor.
    »Ich bin fertig«, sagte Scanlon. »Vielen Dank.«
    »Was … ich meine, was wollten Sie …«
    »Ach, nichts, Pat. Nur … rein berufliche Neugierde.« Er lachte kurz. »He, was bleibt mir in meiner Lage sonst noch übrig?«
    Hinter sich hörte er ein Rascheln. Zwei Männer in Körperkondomen versprühten Desinfektionsmittel auf Scanlons Seite des Raums.
    »Ich frage Sie noch einmal, Pat«, sagte Scanlon. »Was haben Sie jetzt mit mir vor?«
    Sie versuchte, ihn anzublicken. Nach einer Weile gelang es ihr sogar. »Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Ich weiß es nicht.«
    »Sie sind eine Lügnerin, Pat.«
    »Nein, Dr. Scanlon.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin etwas weitaus Schlimmeres.«
    Scanlon wandte sich zum Gehen. Er spürte Patricia Rowans Blick auf sich ruhen, das furchtbare Schuldgefühl in ihrem Gesicht, das von einem verwirrten Ausdruck überlagert wurde. Er fragte sich, ob sie sich jetzt wohl dazu durchringen könnte, die Antworten aus ihm herauszupressen, ob sie genügend Mut aufbringen würde, ihn zu verhören, nachdem sie sich nun nicht mehr hinter einer Maske des schönen Scheins verbergen musste. Er hoffte beinahe, dass es so wäre, und fragte sich, was er ihr wohl erzählen würde.
    An der Tür

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