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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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desto besser.
    Jetzt gab es allerdings nichts mehr zu desinfizieren. 1211 war immer noch mit dem Netz verbunden und konnte die anderen Knoten wahrnehmen. Diese zumindest kämpften weiter gegen die Eindringlinge an. Doch keiner der komplexen Viren schien zu 1211 vorzudringen. Jedenfalls nicht mehr. Und das war nur eines der Dinge, die sich seit der Dunkelheit geändert hatten.
    1211 wusste nicht, wie lange die Dunkelheit angedauert hatte. Eben war er noch in das Universum eingebettet gewesen, ein vertrauter Stern in einer vertrauten Galaxis, dann waren von einem Moment auf den anderen all seine peripheren Nerven ausgefallen. Das Universum hatte seine Gestalt verloren und war vollkommen leer gewesen. Und als 1211 wieder aufgewacht war, war das Universum plötzlich mit einem gewaltigen Getöse durch seine Gatter hereingeströmt und hatte ihn mit fremdartigen neuen Informationen bombardiert, die ihm eine vollkommen neue Sicht der Dinge vermittelten.
    Das Universum war nun nicht mehr das gleiche. Die alten Knoten waren zwar immer noch da, doch ihre Position hatte sich ein wenig verändert. Und die Daten strömten nicht mehr länger mit einem gleichmäßigen Summen dahin, sondern trafen in einzelnen Paketen ein, die auf seltsame Art und Weise geschnürt waren. Es gab auch noch andere Unterschiede, leichte und schwerwiegendere. 1211 wusste nicht, ob sich das Netz selbst verändert hatte oder nur seine eigene Wahrnehmung davon.
    Seit er wieder aus der Dunkelheit aufgetaucht war, war der Knoten ständig beschäftigt gewesen. Es gab jede Menge neue Informationen, die verarbeitet werden mussten – Informationen, die nicht aus dem Netz stammten oder von anderen Knoten, sondern direkt von draußen kamen.
    Die neuen Informationen ließen sich im Wesentlichen in drei Kategorien unterteilen. Zum einen gab es komplexe, aber vertraute Informationssysteme: Daten mit Oberbegriffen wie globale Artenvielfalt und Stickstoffbindung oder Replikation von Basenpaaren . 1211 wusste nicht, was diese Oberbegriffe zu bedeuten hatten – wenn sie denn überhaupt etwas bedeuteten –, doch die Daten, die damit verknüpft waren, glichen denen aus archivierten Quellen im Netz. Zusammen bildeten sie ein autarkes Metasystem von gewaltiger Komplexität: Die alles umfassende Bezeichnung dafür lautete Biosphäre .
    Die zweite Kategorie umfasste Daten, die ein anderes Metasystem beschrieben, das ebenfalls autark war. Manche der Unterprogramme zur Replikation von Strängen waren vertraut, doch die Basenpaar-Sequenzen waren äußerst merkwürdig. Von oberflächlichen Ähnlichkeiten einmal abgesehen, war 1211 noch nie etwas Derartiges untergekommen.
    Das zweite Metasystem besaß ebenfalls eine übergeordnete Bezeichnung: ßehemoth .
    Bei der dritten Kategorie handelte es sich nicht um ein Metasystem, sondern um eine Reihe von unterschiedlichen Reaktionsmöglichkeiten: Signale, die unter bestimmten Bedingungen nach draußen gesandt werden sollten. 1211 hatte schon vor einer Weile begriffen, dass die richtige Wahl der Signale von einem analytischen Vergleich der beiden Metasysteme abhing.
    Nachdem 1211 zu diesem Schluss gelangt war, hatte er ein Interface eingerichtet, um die Interaktion zwischen den beiden Metasystemen zu simulieren. Sie hatten sich als inkompatibel erwiesen. Was bedeutete, dass eine Wahl getroffen werden musste: Biosphäre oder ßehemoth, denn beides gleichzeitig war nicht möglich.
    Beide Metasysteme waren komplex, in sich geschlossen und selbstreplizierend. Beide besaßen die Fähigkeit zur Weiterentwicklung, was sie von einfachen Dateien unterschied. Doch Biosphäre war unnötig kompliziert. Sie besaß Billionen von Redundanzen, eine unendliche, verschwenderische Bandbreite an Informationssträngen. ßehemoth dagegen war einfacher und effizienter. In Simulationen, die die direkte Interaktion zwischen beiden Systemen abbildeten, gelang es ßehemoth in 71,456382 Prozent aller Fälle, Biosphäre zu übertrumpfen.
    Nachdem dies geklärt war, ging es nur noch darum, eine angemessene Reaktion auf die gegenwärtige Lage zu finden und sie in die Tat umzusetzen. Die Situation gestaltete sich wie folgend: ßehemoth war vom Aussterben bedroht. Die größte Gefahrenquelle in dieser Hinsicht war merkwürdigerweise 1211 selbst – er war konditioniert worden, die physikalischen Variablen der Umgebung, die ßehemoth für sein Überleben brauchte, zu zerstören. 1211 hatte über die Möglichkeit nachgedacht, dies einfach nicht zu tun, und sie verworfen.

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