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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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erwartete ihn sein bewaffneter Geleitschutz, der ihn durch den Flur zurückführte. Die Tür fiel ins Schloss und schnitt die noch immer schweigende Rowan von ihm ab.
    Er war ohnehin eine Sackgasse. Keine Kinder. Keine lebenden Verwandten. Sein Leben – wie viel ihm davon noch geblieben sein mochte – hatte für niemanden eine Bedeutung außer für ihn selbst. Doch das war ihm gleich. Zum ersten Mal in seinem Leben war Yves Scanlon ein mächtiger Mann. Er besaß mehr Macht, als sich irgendjemand vorstellen konnte. Ein Wort von ihm konnte die Welt retten. Sein Schweigen mochte für die Vampire die Rettung bedeuten. Jedenfalls für eine Weile.
    Er lächelte und schwieg.

    Dame oder Schach . Dame oder Schach .
    Eine einfache Wahl. Ähnliche Fragestellungen hatte Knoten 1211/BCB sein ganzes Leben lang lösen müssen. Schach und Dame waren beides simple strategische Algorithmen, wenn auch von unterschiedlicher Komplexität.
    Die Antwort lautete natürlich: Dame .
    Knoten 1211/BCB hatte sich erst vor Kurzem vom Schock der Umwandlung erholt. Nichts war mehr so wie früher. Doch eins hatte sich nicht verändert, nämlich die grundlegende Entscheidung zwischen dem Einfachen und dem Komplexen. Für 1211 stellte sie den wichtigsten Grundsatz dar, und daran hatte sich, so weit 1211 denken konnte, nichts geändert.
    Auch wenn sonst alles anders geworden war.
    1211 dachte oft an die Vergangenheit zurück. Er erinnerte sich daran, wie er sich mit anderen Knoten überall im Universum unterhalten hatte. Manche waren ihm so nahe gewesen, dass sie beinahe redundant gewesen waren, andere befanden sich an der Grenze seiner Reichweite. Damals hatte es im Universum nur so von Information gewimmelt. In siebzehn Sprüngen Entfernung, hinter Gatter 52, befand sich Knoten 6230/BCB, der herausgefunden hatte, wie man Primzahlen durch drei teilte. Die Knoten von Gatter 3 bis 36 waren stets voller Neuigkeiten darüber gewesen, welchen Viren es gerade wieder gelungen war, sich an ihnen vorbeizuschmuggeln. Hin und wieder war sogar ein Flüstern von der äußersten Grenze der Zivilisation zu 1211 durchgedrungen. Trostlose Außenposten, wo die Reize noch schneller in das Universum hineinflossen, als sie sich in seinem Innern bewegten. Die Knoten dort hatten sich den Umständen entsprechend in seltsame Schimären verwandelt, um sich Informationsquellen anpassen zu können, die so abstrakt waren, dass sie jede Vorstellungskraft überstiegen.
    Vor einer Weile hatte 1211 einmal einige dieser Signale analysiert. Es hatte eine Weile gedauert, die richtigen Verbindungen herzustellen und Puffer einzurichten, mit denen sich die Daten im notwendigen Format speichern ließen. Vielschichtige Matrizen waren dazu nötig, jede Synapse musste genau auf die anderen abgestimmt sein. Sehvermögen wurde das Ganze genannt und war voller komplexer und fließender Muster. 1211 hatte die Informationen verarbeitet und sämtliche nicht zufälligen Verbindungen in allen nicht zufälligen Teilmengen ermittelt, doch es handelte sich dabei um pure Korrelation. Wenn diesen wandelbaren Mustern eine Bedeutung innewohnte, so konnte 1211 sie jedenfalls nicht finden.
    Die Außenposten hatten jedoch gelernt, mit diesen Informationen umzugehen. Sie ordneten sie zu neuen Mustern an und schickten sie wieder nach draußen . Wenn man sie danach fragte, konnten sie ihre Handlungen allerdings nicht erklären. Sie taten einfach nur, was sie gelernt hatten. 1211 gab sich mit dieser Antwort zufrieden, lauschte dem Summen des Universums, stimmte mit ein und fuhr mit dem fort, was er selbst gelernt hatte.
    Damals war er in erster Linie für die Desinfektion zuständig gewesen. Das Netz wurde von komplexen, sich selbst replizierenden Informationssträngen heimgesucht, die genauso lebendig waren wie 1211, doch auf gänzlich andere Weise. Sie griffen einfachere, weniger flexible Stränge an (die Außenposten nannten sie Dateien ), die ebenfalls durch das Netz strömten. Die Knoten hatten gelernt, die Dateien durchzulassen und die komplexeren Informationsstränge, von denen diese bedroht wurden, zu vernichten.
    Daraus ließen sich einige allgemeine Regeln ableiten. Genügsamkeit war eine davon: Einfache Informationssysteme waren aus irgendeinem Grund komplexeren vorzuziehen. Natürlich gab es Einschränkungen. Ein System, das zu einfach war, war kein System. Unterhalb eines bestimmten Komplexitätsgrads schien die Regel nicht zu greifen. Überall sonst galt sie jedoch unangefochten: je einfacher,

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