Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts

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deutlich realer. »Warum tun Sie das?«
    Rowan seufzte. »Ich dachte, das hätte ich Ihnen gerade erklärt.«
    »Warum erzählen Sie mir das alles, Rowan? Das passt nicht zu Ihrem Stil.«
    »Und was genau ist mein Stil, Yv… Dr. Scanlon?«
    »Sie leiten einen Konzern. Sie delegieren Aufgaben. Warum sollten Sie sich persönlich rechtfertigen müssen, wenn Sie doch Ihre Lakaien und Doppelgänger und Attentäter haben, die die Schmutzarbeit für Sie erledigen?«
    Sie lehnte sich plötzlich vor, ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter von der Lichtbarriere entfernt. »Wofür halten Sie uns eigentlich, Scanlon? Glauben Sie, wir würden so etwas auch nur in Erwägung ziehen, wenn es eine andere Möglichkeit gäbe? Denken Sie, wir Bürokraten, Generäle und Staatsoberhäupter tun so etwas, weil wir schlechte Menschen sind? Weil uns alles egal ist? Ist es das, was Sie glauben?«
    »Ich glaube«, sagte Scanlon und erinnerte sich an etwas, das Clarke zu ihm gesagt hatte, »dass wir nicht die geringste Kontrolle über das haben, was wir sind.«
    Rowan richtete sich auf und deutete auf das Workpad vor ihm. »Ich habe alles zusammengetragen, was wir über diese Mikrobe wissen. Sie können es sich sofort anschauen, wenn Sie möchten. Oder später in Ihrem … Ihrem Quartier, wenn Sie das vorziehen. Vielleicht fällt Ihnen irgendetwas ein, worauf wir noch nicht gekommen sind.«
    Er starrte sie an. »Sie haben ganze Kolonnen von Fachleuten, die seit Wochen über diesen Daten sitzen. Wie kommen Sie auf den Gedanken, ich könnte auf irgendetwas stoßen, worauf sie noch nicht gekommen sind?«
    »Ich denke, dass Sie zumindest die Gelegenheit dazu bekommen sollten.«
    »Unsinn.«
    »Es steht alles zu Ihrer Verfügung, Doktor. Unser ganzes Wissen.«
    »Das ist doch alles für die Katz. Sie wollen nur, dass ich Ihnen verzeihe.«
    »Nein.«
    »Glauben Sie, Sie könnten mich hinters Licht führen, Rowan? Denken Sie, ich schaue mir einen Haufen Zahlen an, die ich nicht begreifen kann, und sage dann am Ende: ›Ach ja, jetzt verstehe ich, dass Sie die einzig mögliche moralische Entscheidung getroffen haben, um das Leben auf der Erde zu retten, Patricia Rowan. Ich vergebe Ihnen.‹? Glauben Sie, mit einem solchen billigen Trick könnten Sie meine Zustimmung gewinnen?«
    »Yves …«
    »Das ist der Grund, warum Sie hier unten Ihre Zeit verschwenden.« Scanlon verspürte plötzlich den albernen Drang zu lachen. »Machen Sie das mit jedem? Begeben Sie sich in jeden Vorort, den Sie auslöschen wollen, und gehen von Tür zu Tür, um zu den Einwohnern zu sagen: ›Es tut uns wirklich leid, aber zum Wohle der Allgemeinheit müssen Sie leider sterben. Aber wir würden alle wesentlich besser schlafen, wenn Sie sich freiwillig in Ihr Schicksal fügen.‹?«
    Rowan sackte in ihrem Stuhl zusammen. »Vielleicht. Zustimmung. Ja, ich denke, das ist es wohl, was ich suche. Aber eigentlich spielt es keine Rolle.«
    »Da haben Sie verdammt noch mal recht.«
    Rowan zuckte die Achseln. Sie wirkte auf absurde Weise niedergeschlagen.
    »Und was ist mit mir?«, fragte Scanlon nach einer Weile. »Was passiert, wenn während der nächsten sechs Monate mal der Strom ausfällt? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Filter im System versagt? Können Sie es sich leisten, mich am Leben zu erhalten, bis Ihre Fachleute ein Heilmittel gefunden haben? Oder haben Ihre Modelle Ihnen womöglich vorausgesagt, dass das zu riskant wäre?«
    »Das weiß ich ehrlich gesagt nicht«, sagte Rowan. »Das ist nicht meine Entscheidung.«
    »Ach, natürlich. Sie befolgen nur Befehle.«
    »Es gibt keine Befehle, die ich befolgen könnte. Ich bin … nun ja, am Entscheidungsprozess nicht beteiligt.«
    »Sie sind nicht beteiligt?«
    Darüber musste Rowan sogar einen Moment lang lächeln.
    »Also, wer trifft die Entscheidungen?«, fragte Scanlon mit erstaunlich gelassener Stimme. »Besteht die Chance, dass ich einmal mit ihnen sprechen könnte?«
    Rowan schüttelte den Kopf. »Nicht ›wer‹.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Nicht ›wer‹«, wiederholte Rowan. »Sondern was .«

Racter
    Sie waren alle absolute Weltspitze. Die meisten ihrer Artgenossen wären froh, wenn sie den Fleischwolf überlebten; diese Leute hatten das verdammte Ding entworfen . Ob sie nun Teil der Konzerne waren, der Politik oder dem Militär angehörten, sie waren die Krönung des Benthos und thronten oben auf dem Schlamm, der alle anderen unter sich begrub. Doch trotz ihrer Rücksichtslosigkeit, trotz zehntausend