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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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nicht einmal den Anstand, mir Ihre gottverdammten Augen zu zeigen!«
    Überrascht weicht Clarke zurück. Ballard steht vom Bett auf und kommt einen Schritt auf sie zu. »Ich kann kaum glauben, dass Sie ein Mensch gewesen sind, bevor man Sie in diese Haut gesteckt hat! Warum gehen Sie nicht raus in Ihren verfluchten Ozean und suchen sich dort was zum Spielen?«
    Sie schlägt Clarke die Luke vor der Nase zu.
    Einen Moment lang betrachtet Lenie Clarke das geschlossene Schott. Sie weiß, dass ihr Gesicht ruhig wirkt. Ihr Gesicht ist meistens ruhig. Doch sie bleibt noch eine Weile dort stehen, ohne sich zu rühren, bis sich das Ding, das sich in ihrem Innern zusammengeballt hat, wieder gelöst hat.
    »Also gut«, sagt sie schließlich leise. »Dann tue ich das eben.«

    Ballard wartet auf sie, als sie aus der Luftschleuse tritt. »Lenie«, sagt sie ruhig, »wir müssen uns unterhalten. Es ist wichtig.«
    Clarke beugt sich vor und zieht ihre Schwimmflossen aus. »Von mir aus.«
    »Nicht hier. In meiner Kabine.«
    Clarke blickt sie an.
    »Bitte.«
    Clarke steigt die Leiter hoch.
    »Wollen Sie nicht erst einmal …« Ballard hält inne, als Clarke zu ihr herunterblickt. »Schon gut. Kein Problem.«
    Sie steigen zum Aufenthaltsraum hinauf. Ballard geht voran. Clarke folgt ihr durch den Korridor in ihre Kabine. Ballard schließt die Luke und setzt sich auf ihre Koje, wobei sie Platz für Clarke lässt.
    Clarke sieht sich in dem engen Raum um. Ballard hat das spiegelnde Schott mit einem Laken verhängt.
    Ballard klopft auf das Bett neben sich. »Kommen Sie, Lenie. Setzen Sie sich.«
    Widerstrebend nimmt Clarke Platz. Ballards plötzliche Freundlichkeit verwirrt sie. So hat sie sich das letzte Mal verhalten, als …
    Als sie noch die Oberhand hatte .
    » … Sie wollen das vielleicht nicht hören«, sagt Ballard, »aber wir müssen Sie aus der Riftzone entfernen. Man hätte Sie gar nicht erst hier herunterschicken dürfen.«
    Clarke antwortet nicht.
    »Erinnern Sie sich noch an die Tests, denen wir unterzogen wurden?«, fährt Ballard fort. »Damit sollte unsere Stressverträglichkeit ermittelt werden: Wie wir damit klarkommen, eingesperrt zu sein, über längere Zeit abgeschnitten von der menschlichen Gesellschaft, in ständiger Gefahr zu leben, Sie wissen schon.«
    Clarke nickt vage. »Und?«
    »Und«, sagt Ballard, »glauben Sie, die hätten uns diesen Untersuchungen unterzogen, ohne vorher zu wissen, was für Menschen solche Eigenschaften besitzen? Und wie sie zu dem geworden sind, was sie sind?«
    Innerlich erstarrt Clarke. Nach außen hin bleibt ihre Miene jedoch unverändert.
    Ballard beugt sich ein wenig vor. »Erinnern Sie sich, was Sie gesagt haben? Über Bergsteiger und Fallschirmspringer, und warum manche Menschen absichtlich gefährliche Dinge tun? Ich habe mich darüber schlau gemacht, Lenie. Seit ich Sie kenne, habe ich recherchiert …«
    Seit Sie mich kennen ?
    » … und wissen Sie, was diese Menschen, die den Nervenkitzel suchen, gemeinsam haben? Sie sind allesamt der Meinung, dass man erst dann richtig lebt, wenn man dem Tod ins Auge blickt. Sie sind süchtig nach der Gefahr. Sie versetzt sie in einen Rauschzustand.«
    Sie kennen mich überhaupt nicht …
    »Manche von ihnen sind Kriegsveteranen, andere wurden über einen längeren Zeitraum hinweg als Geiseln festgehalten, wieder andere haben sich aus dem einen oder anderen Grund öfter in Todeszonen aufgehalten. Und ein paar der besonders Zwanghaften …«
    Niemand kennt mich .
    »… diejenigen, die sich nur dann wohl fühlen, wenn sie ständig am Rand des Abgrunds schweben … Bei vielen von ihnen hat es früh angefangen, Lenie. Als sie noch Kinder waren. Und Sie, ich wette … Sie können es nicht einmal ertragen, wenn jemand Sie anfasst …«
    Verschwinden Sie! Lassen Sie mich in Ruhe!
    Ballard legt Clarke eine Hand auf die Schulter. »Wie lange wurden Sie missbraucht, Lenie?«, fragt sie sanft. »Wie viele Jahre?«
    Clarke schüttelt ihre Hand ab, ohne zu antworten. Er hat es nur gut gemeint . Sie verlagert das Gewicht auf der Koje und dreht sich von Ballard weg.
    »Das ist es, nicht wahr? Sie sind nicht nur besonders abgehärtet gegenüber seelischen Erschütterungen, Lenie. Sie sind süchtig danach. Habe ich recht?«
    Clarke braucht nur einen Moment, um ihre Fassung wiederzugewinnen. Die Taucherhaut und die Augenkappen machen es leichter. Ruhig dreht sie sich zu Ballard um. Sie lächelt sogar ein wenig.
    »›Missbraucht‹«, sagt sie. »Was für ein

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