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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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sich nicht in etwas anderes verwandelt, Dummerchen. Lediglich dein Blickwinkel hat sich verändert.
    An manchen Orten stellte das kein Problem dar. An der Oberfläche des Ozeans zum Beispiel. Oder auf Autobahnen mit Zugangsüberwachungssystem, wo jedes Auto einen eigenen ID-Transponder hatte. Oder sogar an der Unterseite eines riesigen, platten, mit Vakuum gefüllten Doughnuts befestigt, der in der Luft schwebte. Schon weit vor der Jahrhundertwende waren dies anerkannte und sinnvolle Einsatzorte für Autopiloten gewesen.
    Doch Start und Landung waren etwas ganz anderes. Zu viele Objekte rauschten mit zu großer Geschwindigkeit an einem vorbei, und man musste sich um zu viele Dinge gleichzeitig kümmern. Ein paar Milliarden Jahre natürliche Auslese hatten immer noch die Nase vorn, wenn es auf der Überholspur zu eng wurde.
    Offenbar war es damit nun vorbei.
    »Lass uns aussteigen.« Ray sprang auf das Landefeld hinab. Joel folgte ihm zum Rand des Daches. Grüne, ineinander verschlungene Teppiche aus Kudzu4 breiteten sich um sie herum aus und hüllten die Dächer der umliegenden Gebäude ein. Joel kam der Anblick fast ein wenig postapokalyptisch vor – Unkraut und Efeu, die aus der Wildnis vorrückten, um die Überreste irgendeiner untergegangenen Zivilisation unter sich zu begraben. Allerdings sollten diese speziellen Unkräuter die Zivilisation retten.
    An der fernen Küste kräuselten sich kaum sichtbar die Rauchfahnen der Flüchtlingszone dem Himmel entgegen. So viel zum Thema Zivilisation .
    »Das ist eins von diesen intelligenten Gelen«, sagte Ray schließlich.
    »Intelligente Gele?«
    »Ein Käsehirn. Künstlich gezüchtete Gehirnzellen, die auf einer Platine angeordnet sind. Dieselben Dinger, die auch ans Internet angeschlossen wurden, um Viren-Infektionen zu vermeiden.«
    »Ich weiß, was das ist, Ray. Ich kann’s nur einfach nicht glauben.«
    »Nun, glaub’s ruhig. Nicht mehr lange, dann geht es auch dir an den Kragen.«
    »Ja. Wahrscheinlich.« Joel musste die Neuigkeiten erst einmal verdauen. »Ich frage mich, wann das sein wird.«
    Ray zuckte die Achseln. »Dir bleibt noch ein bisschen Zeit. Dieser ganze unberechenbare Mist mit den Vulkanen und was da sonst noch alles unter dir in die Luft gehen kann. Das ist schwieriger, als einen Lifter zu fliegen. Du bist nicht so leicht zu ersetzen.«
    Er blickte wieder zum Lifter hinüber und zu dem Tauchboot, das sich an die Unterseite seines Bauchs schmiegte.
    »Allerdings wird es nicht mehr lange dauern.«
    Joel holte einen Injektor aus der Tasche; eine trizyklische Verbindung mit ein wenig Lithium versetzt. Er hielt ihn Ray ohne ein Wort hin.
    Ray spuckte aus. »Nein, danke. Ich möchte mal eine Weile so richtig sauer sein, weißt du?«

    Und nun, acht Tage später, war Ray Stericker nicht mehr da.
    Nach seiner letzten Schicht am Vortag war er verschwunden. Joel hatte nach ihm gesucht, um ihn zu einem ordentlichen Besäufnis abzuschleppen, aber Ray war nicht auffindbar gewesen und reagierte auch nicht auf seine Armbanduhr. Nun war Joel Kita also wieder bei der Arbeit und ganz allein, abgesehen von seiner Fracht: vier äußerst merkwürdige Leute in schwarzen Anzügen, deren Augen von blicklosen, weißen Linsen bedeckt waren. An ihren Schultern war das Logo der Netzbehörde in ihre Anzüge eingeprägt. Darunter befanden sich Schildchen mit ihren Nachnamen. Zumindest die Namen unterschieden sich voneinander, auch wenn dieser Unterschied belanglos schien. Ob Mann oder Frau, groß oder klein – sie schienen alle Varianten desselben Typs zu sein. Ach ja, der Mk-5 ist immer so ein netter Junge gewesen. Ein wenig still und zurückhaltend. Wer hätte gedacht …
    Joel war schon einmal Riftern begegnet. Vor etwa einem Monat hatte er zwei von ihnen nach Beebe gebracht, kurz nachdem die Station fertiggestellt worden war. Die eine hatte beinahe normal gewirkt und sich große Mühe gegeben, zu plaudern und Witze zu reißen, als wollte sie über die Tatsache hinwegtäuschen, dass sie wie ein Zombie aussah. Joel hatte ihren Namen vergessen.
    Die andere hatte nicht ein Wort gesagt.
    Eine der Positionsanzeigen des Tauchboots piepte und lieferte einen Lagebericht. »Der Meeresboden steigt wieder an«, rief Joel nach hinten. »Dreitausendfünfhundert. Wir sind fast da.«
    »Danke«, sagte einer der Passagiere – FISCHER, wenn man seinem Namensschildchen glauben konnte. Alle anderen saßen nur schweigend da.
    Zwischen dem Cockpit des Tauchboots und der Passagierkabine befand

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