Abgrund: Roman (German Edition)
sich eine Druckluke. Wenn man sie verschloss, konnte man die Kabine achtern als Luftschleuse benutzen oder auch zum Sättigungstauchen, wenn man den Aufwand der Dekompression auf sich nehmen wollte. Man konnte die Luke auch einfach schließen, wenn man seine Ruhe haben wollte und es einem nichts ausmachte, bestimmten Passagieren den Rücken zuzukehren. Natürlich wäre das nicht besonders höflich. Joel grübelte träge über irgendeine Ausrede nach, um den Passagieren die große, metallene Scheibe vor der Nase zuschlagen zu können, doch nach einer Weile gab er es auf.
Die Deckenluke, die in das Cockpit des Lifters führte, war jetzt geschlossen, und das kam ihm irgendwie falsch vor. Normalerweise ließen sie sie bis kurz vor der Ankunft am Zielort offen. Ray und Joel hatten meist die ganze Fahrt über gequatscht – drei Stunden lang, wenn es zur Channer-Quelle ging.
Doch gestern hatte Ray Stericker ohne Vorwarnung nach fünfzehn Minuten Flugzeit die Luke geschlossen. Er hatte die ganze Zeit über kaum etwas gesagt und die Sprechanlage nur selten benutzt. Und heute, nun, heute war dort oben niemand mehr, mit dem man sich unterhalten konnte.
Joel schaute durch eines der Bullaugen hinaus. Die Hülle des Lifters versperrte ihm nur wenige Zentimeter vom Bullauge entfernt die Sicht; metallenes Gewebe spannte sich über Rippen aus Kohlenstofffasern, eine graue Fläche, die von dem reinen Vakuum in ihrem Innern angesaugt und eingedellt wurde. Das Tauchboot befand sich in einem ovalen Hohlraum in der Mitte des Lifters. Die einzige Aussichtsluke, durch die mehr zu sehen war als graue Haut, war die zwischen Joels Füßen. Tief unter ihm erstreckte sich der Ozean.
Inzwischen allerdings nicht mehr ganz so tief. Joel konnte das Zischen und Seufzen der Ballastsäcke des Lifters hören, die sich über ihm aufbliesen. Ein lautes Knistern, das aus weiter Ferne zu kommen schien, drang durch die Außenhülle herein, als elektrische Entladungen die Luft in ein paar Trimmsäcken erhitzten. Das konnte der Autopilot erledigen, doch Ray hatte es sonst immer selbst übernommen. Wäre die geschlossene Luke nicht gewesen, hätte Joel keinen Unterschied feststellen können.
Das Käsehirn machte seine Sache gut.
Vor ein paar Tagen, während einer Lieferung für eine Unterwasseranlage vor Gray’s Harbor, hatte er sogar einmal einen Blick darauf werfen können. Ray hatte einen Schalter gedrückt, und der Deckel der Kiste war zurückgeglitten wie weißes Quecksilber und in einer schmalen Nut im Gehäuse verschwunden. Darunter war eine durchsichtige Scheibe zum Vorschein gekommen.
Unter der Scheibe befand sich eine feste Schicht aus einem schwammigen Zeug, etwas grauer als Mozzarella, das in einer klaren Flüssigkeit schwamm. In geraden, parallelen Reihen bohrten sich Splitter aus bräunlichem Glas in die weiche Masse.
»Ich darf das eigentlich nicht öffnen«, hatte Ray gesagt, »aber die können mich mal. Schließlich kann das Mistding kein Licht wahrnehmen.«
»Was sind das für kleine braune Dinger da?«
»Indium-Zinnoxid auf Glas. Ein Halbleiter.«
»Mann! Und es arbeitet gerade jetzt?«
»Während wir uns unterhalten.«
»Mann!«, hatte Joel noch einmal gesagt. Und dann: »Ich frage mich, wie man so etwas programmiert.«
Ray hatte nur verächtlich geschnaubt. »Programmieren kann man das nicht. Man muss ihm die Dinge beibringen . Es lernt mithilfe von positiven Anreizen wie ein Kleinkind.«
Eine plötzlicher, sanfter Ruck war zu spüren. Joel kehrte in die Gegenwart zurück; der Lifter hing fünf Meter über den Wellen in der Luft. Genau am Zielort. An der Oberfläche war natürlich nur der leere Ozean zu sehen; Beebes Transponder befand sich in dreißig Metern Tiefe. Nah genug an der Oberfläche, um ihn anpeilen zu können, und tief genug, um keine Gefahr für die Navigation darzustellen. Und um als Unterwasser-Haltestelle für Touristen-U-Boote dienen zu können, die auf der Jagd nach den legendären Meeresungeheuern der Channer-Quelle waren.
Der Käse ließ auf der Steuerungsanzeige des Tauchboots ein Wort aufleuchten: START?
Joels Finger schwebte über der OK-Taste und drückte sie schließlich. Andockverriegelungen schnappten mit einem Klicken zurück; der Lifter ließ Joel Kita und seine Fracht auf das Wasser hinunter. Während das Tauchboot in seinem Geschirr schaukelte, blitzte einen kurzen Moment lang Sonnenlicht durch die Sichtluken herein. Eine Welle schlug gegen die vordere Luke.
Einen Moment lang stand die
Weitere Kostenlose Bücher