Abgrund: Roman (German Edition)
Luke. In der Schleuse ist genügend Platz für zwei Personen – die anderen Rifter gehen normalerweise zu zweit raus –, aber sie zieht es vor, die Schleuse allein zu durchlaufen. Es ist keine große Sache. Keiner der anderen sagt etwas dazu.
Es ist nicht ihre Schuld. Weder Branders, noch Fischers. Und auch nicht die meines Vaters. Und meine ebenfalls nicht.
Niemand hat, verflucht noch mal, Schuld daran.
Die Schleuse um sie herum füllt sich mit Wasser.
Engel
Der Meeresboden leuchtet. Risse im Gestein flackern in beruhigenden Orangetönen, wie heiße Kohlen, und er weiß, das sind Thermalquellen. Die kochendheißen Rinnsale fühlen sich selbst durch seine Taucherhaut noch warm an, und sein Thermistor schlägt jedes Mal aus, wenn die Strömung wechselt. Doch es gibt hier auch Stellen, wo die Steine grün leuchten, und andere, wo sie blau sind. Er weiß nicht, ob er das der Biologie oder der Geochemie zu verdanken hat. Er weiß nur, dass es wunderschön ist. Es sieht aus wie eine Stadt bei Nacht, aus großer Höhe betrachtet. Es ist wie eine Videoaufzeichnung über die Nordlichter, die er einmal gesehen hat, nur greller und strahlender. Wie ein Buschfeuer in Smaragdtönen.
In gewisser Weise ist er Brander sogar dankbar. Wenn er nicht gewesen wäre, dann hätte Fischer diesen Ort hier niemals gefunden. Er würde mit den anderen in der Station sitzen, in die Bibliothek eingeklinkt, oder sich in seiner Kabine verstecken, trocken und sicher.
Aber Beebe ist kein Zufluchtsort, wenn sich Brander im Innern der Station befindet. Beebe ist ein Spießrutenlaufen. Heute ist Fischer deshalb einfach draußen geblieben, als seine Schicht zu Ende war, hat sich über den Meeresboden davongeschlichen und die Gegend erkundet. Jetzt hat er einen echten Zufluchtsort gefunden, weit vom Schlund entfernt.
Schlaf nicht ein, sagt Schatten. Wenn du wieder die Schicht verpasst, gibst du ihm damit nur einen neuen Vorwand.
Na und? Hier draußen wird er mich nicht finden.
Du kannst nicht ewig draußen bleiben. Irgendwann musst du auch mal was essen.
Ich weiß, ich weiß. Sei still.
Er ist der Einzige, der diesen Ort jemals zu Gesicht bekommen hat. Wie lange gibt es ihn schon? Wie viele Millionen Jahre leuchtet diese kleine Oase schon friedlich in der Nacht, ein in sich geschlossenes, winziges Universum?
Lenie würde es hier draußen gefallen, sagt Schatten.
Ja .
Einen halben Meter über ihm kommt ein Rattenschwanz in Sicht; seine Unterseite ist ein Mosaik aus widergespiegelten Farben. Er schlägt einmal abrupt mit dem Schwanz; ein heftiges Zittern durchläuft seinen Körper. Das Wasser um ihn herum flimmert vor Hitze. Der Fisch beginnt im Kielwasser der kleinen Eruption mit dem Schwanz nach unten zu trudeln. Sein Körper wird innerhalb von Sekunden weiß und beginnt zu zerfallen.
Vierhundertacht Grad Celsius: Das ist die Höchsttemperatur, die jemals an den heißen Quellen am Juan-de-Fuca-Meeresrücken gemessen wurde. Fischer versucht sich an die Temperaturbelastbarkeit des Copolymers der Taucherhäute zu erinnern.
Das Verhältnis beträgt eins zu fünfzig.
Er steigt ein wenig in der Wassersäule nach oben, nur zur Sicherheit. Sobald er den Störbereich des Meeresbodens verlassen hat, spürt er das schwache, regelmäßige Klopfen von Beebes Echolot in seinen Eingeweiden.
Das ist seltsam. So weit draußen dürfte er das Signal eigentlich nicht wahrnehmen. Es sei denn, sie haben es auf die stärkste Stufe gestellt. Und das würden sie nicht tun, es sei denn …
Er wirft einen Blick auf die Uhr.
Oh nein. Nicht schon wieder.
Als er den Schlund erreicht hat, sind sie gerade dabei, Nummer vier auseinanderzubauen. Sie machen ihm Platz in der gar nicht mit ihm reden. Das tut weh, aber Fischer kann es ihr nicht verdenken. Vielleicht kann er es irgendwie wiedergutmachen. Vielleicht kann er sie auf eine kleine Sightseeingtour mitnehmen.
Gott sei dank ist es nicht Branders Schicht. Er befindet sich immer noch in der Station. Doch Fischer bekommt langsam wieder Hunger.
Vielleicht ist er ja in seiner Kabine. Dann kann ich einfach nur essen und ins Bett gehen. Vielleicht …
Da sitzt er, ganz allein im Aufenthaltsraum, und blickt finster von seinem Essen auf, als Fischer in den Raum gestiegen kommt.
Mach ihn nicht wütend.
Zu spät. Er ist ständig wütend.
»Ich … denke, wir sollten uns unterhalten«, versucht er es.
»Verschwinden Sie!«
Fischer tritt an den Tisch in der Kombüse und zieht einen Stuhl zurück.
»Geben Sie sich
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