Abitreff (German Edition)
muss nicht auf
seine Sachen aufpassen, es gibt ja andere, die mitdenken. Er war heute Morgen
in Münster und ist jetzt mit seinem Vater unterwegs, die beiden wollten erst
etwas Einkaufen und dann meine Frau im Krankenhaus besuchen.“
„Mir soll das egal sein, ich hab eh noch einiges für die Uni zu
erledigen.“
„Jeder muss mal seinen Gang nach Canossa antreten!“ War das
Schadenfreude in seiner Stimme? „Der Junge wollte heute Abend zwar wieder ins
Kino, aber erst schicke ich ihn bei ihnen vorbei. Darf ich um ihre Adresse
bitten?“ Man tauschte die notwendigen Informationen aus und legte dann auf.
Aus dem geplanten Ausritt in die Wüste wurde dann aber doch nichts.
Kaum hatte Matthias seinen Liebsten in die Arme geschlungen, als er wieder im
Hause war, ihn schon halb ausgezogen, als das Telefon klingelte. Margit
Richard, Matthias‘ Mutter (die Genitive mit „von“ gebildet finde ich
furchtbar), war am anderen Ende der Leitung. „Schatz! Gehst du bitte bei uns
vorbei und holst die Notfalltaschen deiner Großmutter?“
„Was ist passiert?“ Der Beamte stöhnte.
„Ich bin gerade im Luisen-Krankenhaus, deine Oma hat einen Oberschenkelhalsbruch!“
Der Brillenträger fuhr sich durch die Haare. „Wie hat sie das denn
wieder geschafft?“
„Frag mich bitte was Leichteres, ich kann es dir auch nicht sagen.“ Ein
Schluchzen war zu hören. „Wir haben Kaffee getrunken, ich bin dann nach unten
in den Keller an die Waschmaschine, sie saß da noch am Esszimmertisch und hat
Zeitung gelesen. Sie muss sich dann wohl abgestoßen haben, ist mit dem
Rollstuhl ins Wohnzimmer gerollt, wollte wohl aufs Sofa. Scheinbar hat sie die
Bremsen nicht arretiert, jedenfalls … sie lag unter dem Wohnzimmertisch, als
ich sie gefunden habe.“
„Mama! Alles klar, ich bin gleich bei dir.“ Er legte auf.
Cihad blickte ihn fragend an. „Was ist los?“
Die spärlichen Informationen waren schnell ausgetauscht. Matthias
machte sich auf den Weg zu seinem Elternhaus, das keine 25 Meter entfernt lag.
In dem Zweifamilienhaus hatte er als Kind mit seinen Eltern im Erdgeschoss
gewohnt, während seine Großeltern in der ersten Etage ihre Unterkunft gefunden
hatten. Sein Vater war Jugendpfarrer des Kirchenkreises gewesen, eine eigene
Gemeinde hatte er nie gehabt, somit hatte man auch nicht in einem Pfarrhaus
gewohnt, sondern privat.
Matthias ging in sein altes Zimmer, mittlerweile stand dort ein
Krankenbett, in dem seine fast 90 jährige Großmutter sonst schlief. Er suchte
nach der – immer gepackten – Notfalltasche. Seine Oma, die weit später Witwe
geworden war als seine Mutter, hatte immer auf ihre eigene Wohnung und ihr
eigenes Leben bestanden, sie wollte für sich selbst sorgen und niemandem zur Last
fallen. Zwar nahmen die beiden Frauen seit Jahren schon ihre Mahlzeiten
gemeinsam ein, aber sie führten dennoch ihr eigenes Leben.
Diese Eigenständigkeit hatte vor knapp einem Jahr geendet, als die
Kniegelenke der betagten Seniorin nicht mehr mitmachen wollten. Treppensteigen
ging nicht mehr, das Alter forderte seinen Tribut. Oma war in den Rollstuhl
gekommen und, sehr gegen ihren Willen, ins Erdgeschoss gezogen, in sein altes
Zimmer. Matthias, nach der Renovierung seines eigenen Hauses mittlerweile erprobt,
hatte dann mit dem Umbau seines Elternhauses begonnen: Zuerst war das
Erdgeschoss seniorengerecht umgebaut worden, dann die Wohnung in der ersten
Etage gefolgt, die jetzt endlich vermietet werden konnte.
Matthias fand seine Mutter im Wartebereich vor dem OP, der wirklich
nicht einladend aussah. Die sonst so agile Witwe wirkte mitgenommen. Die Frage,
ob er bleiben sollte, wurde aber verneint. „Du hast gleich Klassentreffen! Es
reicht, wenn meine Mutter, was deine Großmutter ist, einem von uns das Abendprogramm
versaut! Ich wollte eigentlich zu Marlene, die gibt heute eine Tupperparty,
Tante Marianne wollte auf Oma aufpassen. Weißt du, um was sie mich bat, als wir
zusammen mit dem Krankenwagen hergefahren sind?“
„Bis jetzt noch nicht, aber ich bin mir sicher, du wirst es mir gleich
erzählen!“
Die Witwe verzog ihr Gesicht. „Sie wollte nur aufs Sofa, um sich diesen
Reisebericht aus Ostpreußen anzuschauen! Sie will im nächsten Jahr unbedingt
nach Königsberg in ihre alte Heimat! Dann bettelte sie mich mehr oder minder
noch an, ich solle sie wegen des kleinen Unfalls ja nicht ins Altersheim geben,
da würde sie nur vor die Hunde
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