Abitreff (German Edition)
dass diese auch Frankenberg hießen. So
viele Träger dieses Namens dürfte es im Städtchen ja nicht geben, also rief er
noch das elektronische Telefonbuch auf und fand vier Einträge. Die erste Nummer
war besetzt, bei der zweiten nahm niemand ab. Der dritte Eintrag hatte den Zusatz
Steuerberater, dort dürfte samstags wohl niemand sein, also tippte er die
vierte Nummer. Es läutete.
„Frankenberg.“ Die Stimme am am anderen Ende der Leitung klang etwas
brüchig.
Cihad erschrak, hatte er doch vergessen, sich eine passende Geschichte
als Grund seines Anrufes einfallen zu lassen. „Äh, Cihad Benlimane-Richard
hier. Entschuldigen Sie die Störung, aber ich suche einen Christopher
Frankenberg.“
„Christopher? Einen Christopher gibt es hier nicht.“ Man merkte, die
Dame überlegte. „Was wollen Sie denn?“
„Ich habe Papiere gefunden: Führerschein, Personalausweis.“ Diese
Aussage entsprach ja auch der Wahrheit. „Dann entschuldigen Sie bitte die
Störung und schönen Tag noch, Frau Frankenberg.“
„Moment, junger Mann, vielleicht kann ich ihnen ja doch helfen.“ Der
Hörer wanderte von einem Ohr zum anderen. „Den einzigen Christopher
Frankenberg, den ich kenne, ist der Enkel meines Schwagers, aber der wohnt in
Dresden äh … also Christopher, nicht mein Schwager, der wohnt hier.“
„Dann ist er es! Laut Personalausweis wohnt … Moment!“ Er griff sich
das amtliche Dokument. „Laut Perso wohnt Christopher Alexander Frankenberg in
der Stübelallee.“ Cihad nannte sogar den Namen des Gymnasiums, denn den
Schülerausweis des potenziellen Mitbewohners hatte er ebenfalls in den
Unterlagen gefunden.
„Dann ist es mein Großneffe!“ Sie atmete tief durch. „Sie müssen
entschuldigen, dass ich erst etwas vorsichtig war, aber man hört in letzter
Zeit wieder so oft von diesen Anrufen, in denen betagte Senioren Geld für in
Not geratene Enkel an Fremde geben sollen.“
„Stimmt!“ Der Sohn der Wüste grinste. „Hätten sie vielleicht die Nummer
für mich?“
„Aber gewiss doch! Moment, ich muss nachschauen, mein Zahlengedächtnis
ist nicht mehr ganz so gut wie früher.“ Die Dame kicherte. „Aber ich finde es
nett, dass sie anrufen: Mir ist vor fünf Jahren mal die Handtasche geklaut
worden, mit allen Papieren, als wir mit dem Kirchenchor in Berlin waren. Können
Sie sich das vorstellen? Das Geld war mir ja nicht so wichtig, aber was meinen
sie, was das für eine Lauferei war, ehe ich alle Unterlagen wieder zusammen
hatte. … Ah, da habe ich sie! … Haben sie was zum Schreiben?“
„Aber gewiss doch.“ Er notierte die Nummer, die er nicht auf der Liste
fand. Wie sich später herausstellte, war es der Privatanschluss des
Steuerberaters, der nicht öffentlich zugänglich war und der nicht weit entfernt
wohnte, die Straße kannte Cihad sogar. Man verabschiedete sich freundlich und
Cihad tippte schon die Ziffern, aber er hielt plötzlich inne. Falls Opa
Frankenberg auch so intensiv nachfragen würde, müsste seine Geschichte
durchdachter sein. Die Dame eben hatte ihm – mehr oder minder – ja die Vorlage
geliefert. Aber Moment! Laut Absprache war Chris ja mit dem Bus unterwegs
gewesen, da kann man auch seine Papiere verlieren. Er wählte.
„Frankenberg!“ Die Stimme klang fest.
Der Deutsch-Marokkaner musste dennoch kurz schlucken. „Guten Tag, Herr
Frankenberg. Cihad Benlimane-Richard, ich müsste mal ihren Enkel Christopher
sprechen.“
„Meinen Enkel? Was wollen sie von dem?“
„Ich habe im Bus sein Lederetui mit seinen Papieren gefunden, also
Personalausweis, Führerschein und so. Leider fand ich keine Handynummer, sonst
hätte ich da angerufen.“ Der Student holte Luft. „Und ehe ich in Dresden
anrufe, dachte ich, ich rufe erst mal hier alle Frankenbergs an, die im
Telefonbuch stehen, und frage, ob er hier zu Besuch ist.“
„Der Junge hat seinen Kopf auch nur noch zum Haareschneiden!“ Ein
Grummeln war zu hören. „Er hat noch gar nicht gesagt, dass er was verloren hat!
Aber wahrscheinlich hat er das selbst noch gar nicht bemerkt: Er ist …
irgendwie … durch den Wind.“
Cihad konnte sich vorstellen, woran das lag. „Soll ich vorbeikommen und
ihm das Teil bringen?“
„Bitte?“ Sein Gegenüber schien verwundert. „Nee, das lassen sie mal besser!
Der Junge muss endlich lernen, was es heißt, Verantwortung für sein Leben zu
übernehmen. Wenn sie jetzt das Teil bringen, wird er meinen, man
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