Abonji, Melinda Nadj
es
eigentlich ziemlich gut gelaufen sei, zwar nicht ganz so viele Gäste gekommen
seien, wie wir erwartet hätten, aber die Schwestern, ja, die Schwestern, und
dass sie am Nachmittag nochmals gekommen seien, um Kuchen zu essen (wir werden
schön rund und dick — wenn wir jeden Tag zu Ihnen kommen, doch das können wir
uns leisten - in unserem Alter!, eine Eigenart, die wir an Frau Köchli und Frau
Freuler lieben, dass die eine einen Satz beginnt, die andere ihn beendet),
schon an diesem Abend, als wir noch lange Zeit brauchen, um den Tag abzuschliessen,
machen Nomi und ich Sprüche über Anita, wir nennen sie Hanuta, die keinen
einladenden, sondern ausladenden Hintern habe, sie habe jeden zweiten Satz mit "also
bei den Tanners war das" ... angefangen, Anita, die eine Nullnummer sei, die sich ständig aufspielen müsse,
weil sie ja den Betrieb, im Gegensatz zu uns, in- und auswendig kenne ... Wir sind noch nicht fähig zu erkennen,
wer Anita ist, aber in den nächsten Tagen und Wochen werden ihre Sätze immer
unmissverständlicher: Ich wäre auch gern ein Asylant, fünf Franken am Tag,
Ildi, damit lässt es sich doch leben, oder?, Anita, die laut darüber nachdenkt,
ob wir den Tanners Schmiergeld bezahlt hätten, ansonsten hätten sie doch nicht
ausgerechnet uns das Mondial übergeben (das sage ja nicht sie, sondern die
Gebrüder Schärer und ein paar andere). Als Nomi anfängt, ihr mit weit
aufgerissenen Augen unsinnige Antworten zu geben wie: Das ist so, wir müssen
die Antarktis retten, im Winter tue ich nichts lieber als Kerzenziehen — und
ich, die Anita zusieht, wie sie bei gewissen Gästen lange stehen bleibt,
abgedreht, ein bisschen zu nah an Köpfen, Ohren, und die Irritation, dass
Anitas Gesicht mich immer an die Kunststoffhemden erinnert, die man nach dem
Waschen nicht bügeln muss — als wir uns fast schon an Anita gewöhnt haben,
kündigt sie, auf Ende Januar, was deswegen möglich ist, weil sie mit Mutter
eine einmonatige Probezeit ausgehandelt hat, in der sie innerhalb der
Monatsfrist kündigen kann, und Mutter zeigt mir im Büro den eingeschriebenen
Brief: Sehr geehrter Herr Kocsis, sehr geehrte Frau Kocsis, hiermit kündige ich
meine Anstellung als Serviertochter auf den 31. 1. 1993. Mit freundlichen
Grüssen, Anita Kunz.
Ein paar Tage später kündigt
Christel, und es vergeht kaum ein Tag, an dem sie nicht entschuldigend
erklärt, warum sie gekündigt hat, ihr Freund sei sehr eifersüchtig, er wolle
nicht mehr, dass sie im Service arbeite, sie habe vor, eine neue Ausbildung
anzufangen, im Bereich Astrologie, was ich denn eigentlich für ein
Sternzeichen sei, Zwilling? Das habe sie sich schon gedacht, und sie habe schon
lange einen Kinderwunsch, und sie habe das Gefühl, sie werde nicht schwanger
wegen ihrer Arbeit, und ehrlich gesagt finde sie es auch schwieriger, im Mondial
zu arbeiten, seit die Tanners weg sind, die Leute würden sie so viel fragen,
und am Abend habe sie manchmal einen ganz wirren Kopf, sie könne sich nicht
helfen, aber die Leute machten sie ganz schwindlig mit ihrer Fragerei, sie
wisse manchmal selbst nicht mehr, wie sie heisse. Christel, die ich gern
gemocht habe.
Erst später erfahren Nomi und
ich, wie es zu Anitas Kündigung gekommen ist; Anita, die zu Vater gesagt hat,
die Waren würden vom Fliessband fallen, wenn er mit diesem Tempo in einer
Fabrik arbeiten würde, und Anita klopfte ein paar Mal mit der flachen Hand auf
das Brett, wo Vater normalerweise das Brot schneidet, und sie hat ihm
zugezwinkert, lachend, als er nicht reagierte, weiter in seinem Topf rührte.
Herr Kocsis, das war doch nicht ernst gemeint, nur ein blöder Witz, sagte
Anita, die offenbar darüber erschrak, dass Vater sie ignorierte, ihr dann die
Kochkelle hinstreckte und fragte, warum sind Sie noch hier, wollen Sie meine
Sauce probieren?
Mutter, die Vater von seiner
Entscheidung, Anita zu kündigen, hatte abbringen wollen, obwohl sie wusste,
dass es unmöglich war, ihn aber davon überzeugen konnte, es sei besser, wenn
Anita nahegelegt werde, selber zu kündigen, dann werde auch nicht soviel
geredet im Dorf.
Vater war zwar darüber
aufgebracht, dass Anita ihn mit ihrem Spruch bezüglich seines Arbeitstempos
beleidigt hatte, aber nicht das hat den Ausschlag gegeben, sondern dass Vater
grundsätzlich humorlosen Menschen misstraut, wenn sie sagen, das war nichts,
nur ein Witz.
Grenzpolizisten, Trauerweiden
Mit unserem Mercedes Benz
stehen wir an der Grenze, Tompa, so heisst der
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