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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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und ich, um den kleinen, noch unbegreifbaren
Schmerz nicht zu spüren, der im Wort "Halbschwester" verborgen ist,
Janka also auf einem schwarz-weissen Bild, mit einer atemberaubenden Frisur,
von deren höchstem Punkt ein winziger, aber markanter Schleier wegzuschweben
scheint, die elegant gezähmten Locken, welche im Kontrast dazu und
unübertroffen schön über die eine Schulter fallen, als könnte sie in ihrer
Wildheit nichts bezwingen, und das soll unsere Schwester sein, fragt Nomi,
Jankas Zeigefinger, der sich an einen ihrer breiten Nasenflügel schmiegt, so,
als hätte sie gerade eine wichtige Frage erörtert, Hände, die ausserdem
Spitzenhandschuhe tragen, und Nomis Frage prallt an Jankas Bück ab, Augen, die
eine eigenwillige, ruhige Überlegenheit ausdrücken, uns zeigen, dass wir, Nomi
und ich, noch weit entfernt davon sind, das Leben zu begreifen.
    Und ich habe davon gehört,
dass man aus dem Auto steigen kann, mit einem leichten Schwung, einer leichten
Drehung im Körper, ich habe es bestimmt und schon mehrmals gesehen, wie sich
der Brustkorb nach dem Aussteigen hebt, wie sich der Gesichtsausdruck in einer
schwer zu beschreibenden Art mit der Maske der Gewissheit überzieht, dass man
sich nun dem Recht zu schreiten hingeben kann, langsam, erhaben, und ich gebe
dem weissen Blechflügel einen kräftigen Stoss, um mich rasch davonzustehlen,
mich nicht den schamlosen, sehnsüchtigen Blicken der Kinder ausliefern zu müssen,
die sich innert Sekunden um das Wunderwerk der Technik versammeln, mit offenen
Mündern den Stern bestaunen, als wäre er mehr als eine Gabe Gottes, und ich
habe es nie jemandem gesagt, dass ich mich in diesen Momenten auf eine ganz
bestimmte Art elend fühle, mickrig, und wäre Gott neben mir gestanden, hätte
ich ihn gefragt, ob er mir dieses Gefühl erklären könne, he, ruft Nomi, wart
doch, nicht so schnell!
    Wir treffen Janka nicht bei
Onkel Móric und Tante Manci, auch nicht bei Mamika, sondern in einem winzigen
Restaurant in der Nähe des Flusses. Und schon von weitem sehen wir sie, wie sie
da steht, in einem zitronengelben Kleid, dessen luftiger Stoff mit dem lauen
Sommerwind spielt, Janka, die sich schon vergrössern darf, hohe Schuhe trägt,
da ist sie, sagt Nomi, und ich spüre meine kleinen Schritte, flüstere Nomi zu,
dass ich ehrlich gesagt nervös sei, ich, die sich geschworen hatte, stolz zu
sein, worauf?, aber ja doch, der sandige Gehweg, an den ich mich genau
erinnere, die Trauerweiden, die links und rechts den Weg säumen, und es war,
als würden wir auf eine Geschichte zugehen, von der wir fälschlicherweise
angenommen hatten, dass sie uns nichts, aber auch gar nichts angeht, das Leben
unserers Vaters vor der Zeit unserer Mutter.
    Hallo, sagen wir, hallo hallo
(wie begrüsst man sich, wenn man sich zum ersten Mal sieht?), und Vater stellt
uns vor, Janka, Nomi, Ildikö, Mutter, die sich bemüht, weiss, dass wir alle
verklemmt sind, die das übernimmt, was eigentlich Vater übernehmen müsste,
sagt, dass wir uns freuen, sie endlich kennenzulernen, Janka, die antworten
kann, dass sie sich auch freut, Nomi und ich halten uns an unseren Getränken
fest, Strohhalme haben wir leider nicht, sagt die Kellnerin und lächelt
verlegen, und ich suche krampfhaft nach einer Frage, aber immer wieder sehe ich
Jankas Foto vor mir, ihre fleischigen Lippen, die tatsächlich fleischig sind!,
ihr volles Haar, das in Wirklichkeit noch viel voller ist!, ihre Augen, die
sich bewegen, lebendig und vielfarbig sind, Jankas Lachen, das Zähne zeigt, die
sich so scharf aus dem Bild herauslösen, als würde die Fotografie gar nicht
existieren, und ich wünsche mir, dass wir einen Moment lang ganz still sind,
nichts, nur wir, die da sitzen, uns möglicherweise nicht einmal anschauen, ich
wünschte mir, dass wir die Angst vor der Peinlichkeit vergessen, uns einem
Schweigen hingeben, das den Jahren entsprechen würde, die an uns vorbeigezogen
sind, ohne dass wir voneinander wussten, und ich sitze neben Nomi, deren Geruch
mir vertraut ist, deren Ohren ich kenne, Ohrläppchen, Bauchnabel, die, wenn ihr
unwohl ist, ihre Hände unter den Schenkeln verstaut, ihren Rücken leicht
krümmt, und Vater schnippt schon wieder mit dem Finger, um noch etwas zu
bestellen, nein, ich will keine Limonade mehr, die mir Zähne und Zunge verklebt,
aber Vater muss die Unsicherheit aus seinen Augen trinken, damit sie diesen
trügerischen Glanz von "ich habe alles im Griff bekommen, und ich erinnere
mich auch an die Kellnerin,

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