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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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Balkan macht auch vor uns nicht halt, sagt er (der bestimmt in den 70er
Jahren gekommen ist, als die Schweizer über die vielen Tschinggen geflucht haben, die Italiener,
die damals noch zum Feindbild Nummer eins gehört haben), bald haben wir auch
einen Kebab-Stand mitten in unserer Gemeinde!, und ich serviere Herrn Tognoni
sein Drei-Minuten-Ei, und es ist ja nicht so, dass die Slowenen kommen (die
Bauarbeiter, deren Einsilbigkeit ich samstags vermisse), und Herrn Tognonis Aftershave
ist dezent, denke ich, als ich ihm den Orangensaft serviere, der zum grossen
Frühstück gehört, ich hätte gern ein paar Slowenen in meinem Betrieb, und Herr
Tognoni bedankt sich bei mir.
    Woher kommen Sie eigentlich?
Meine Eltern stammen aus Norditalien, aus dem Piemont, berichtet Herr Tognoni,
und ich stelle ihm den doppelten Espresso auf den Tisch, den er zum grossen
Frühstück bestellt hat, und Herr Berger deutet mit seiner Pfeife darauf hin,
dass ich den hellen Milchkaffee mit Assugrin für seine Frau bringen könne,
gern, sage ich, und: Fräulein, bringen Sie mir noch ein Croissant. Hell oder
dunkel, frage ich. Spielt keine Rolle, antwortet Herr Berger, Fräulein, darf
ich Sie noch was fragen, Sie sind doch Schwestern, und Herr Bergers Pfeife
deutet auf Nomi (Nomi, die seine Frage wahrscheinlich mit einem kecken Spruch
beantworten würde: ich finde es schön, dass Sie und Ihre Frau und Herr Tognoni
am Samstag auf Bildungsreise sind), ja, wir sind Schwestern, antworte ich.
Meine Frau und ich haben uns nämlich schon oft gefragt, ob sie Schwestern sind,
schau dir den Mund an, habe ich zu meiner Frau gesagt, aber die Haare, sagte
meine Frau! Dabei weiss doch jedes Kind, dass gerade die Haare von den
Gemeinsamkeiten ablenken, eine Frisur macht viel aus, nicht?
    (Und ich würde gern einen Kamm
aus der Brusttasche meiner Bluse ziehen, um die Herren Berger und Tognoni zu
frisieren, um ihre Härchen durchzulüften, nicht aus Bosheit, ich würde ihre
Frisuren gern auf eine Berg-und-Tal-Fahrt schicken, ihre Gesichter sehen, wie
die Freude über die Geschwindigkeit sekundenschnell das Helle, Jungenhafte in
ihre Gesichter zurückzaubert, gern würde ich ihre aufgeregten Finger sehen, die
an einer Zuckerwatte zupfen), die Gebrüder Schärer, die sich jetzt setzen, an
Tisch sieben, neben den Berger und den Tognoni, Händeschütteln, wie geht's?,
sie kämen gerade vom Radfahren, sagt der schmale Schärer, hundertzwanzig
Kilometer, jeden Samstag!, der Berger, der Tognoni, die anerkennend nicken,
Fräulein, so der dünne Schärer, zwei Kaffee nature! (der schmale und der dünne
Schärer, weil man die beiden fast nicht voneinander unterscheiden kann).
    Erzählen Sie uns doch etwas
über die Verhältnisse in Ihrem Land, sagt Herr Berger, als ich die beiden
Kaffees für die Schärers hinstelle, Herr Berger, der nach seiner Pfeife langt,
die gestopft werden will. Sie müssen wissen, dass das Fräulein aus dem ungarischen
Teil des Balkans stammt, wissen Sie, da, wo es sicher auch bald chlöpfi, knallt, Vojvodina, so heisst
die Region, und sie war bis vor kurzem eine autonome Provinz, nicht wahr? (die
Bergers, die sich letzte Woche höflich erkundigt haben, von welchem Teil des
Balkans wir herkämen. Aus dem Norden von Jugoslawien, südlich von Ungarn,
antwortete ich, und Ungarn ist immer die Rettung, jeder kennt einen ungarischen
Zahnarzt, und den Aufstand von 1956 hat man noch gut in Erinnerung, da man in
der Folge die Sympathie mit den Aufständischen bekundete, indem man Tonnen von
abgetragenen Kleidern endlich sinnvoll entsorgen konnte; man kennt die Puszta,
Bela Bartök, ach, die feurige Musik, die uns doch allen so viel gibt! Ihre
Muttersprache ist also Ungarisch und nicht Serbokroatisch, kombinierte Frau
Berger, ja, antwortete ich. Dann sind Sie gar nicht vom Balkan? Nicht
eigentlich, antwortete ich, aber doch irgendwie, dachte ich. Herr Berger, der
seine Stirn abrupt in Falten legte, seine Frau Annelis belehrte, siehst du, ich
hab's doch gesagt, die vom Balkan haben andere Hinterköpfe), und ich stelle
jetzt den hellen Milchkaffee mit Assugrin wieder auf den Tisch, Frau Berger,
die sich inzwischen gesetzt hat. Ja wirklich?, und Herr Tognoni (den man noch
viel länger auf die Berg-und-Tal-Fahrt schicken müsste als Herrn Berger) hat
plötzlich ein Interesse an ihr, die ich bin, das wusste ich gar nicht, sagt
Herr Tognoni mit einer kleinen Glut in den Augen, ich dachte, Sie seien aus
Russland, wer hat mir das nur erzählt? Deine Phantasie,

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