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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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dem Schrank nimmt, damit ich nicht
auswählen muss, und ich, die sagt, dass das doch etwas zu bedeuten habe, dass
ich Bela in meinem Schrank gesehen habe, wahrscheinlich schon, antwortet Nomi
und hilft mir ins Kleid, wir müssen uns beeilen, sagt sie, Mutter, die neben
uns steht, aus dem Fenster schaut, es kann doch sein, dass morgen alles vorbei
ist, sagt sie. Wie meinst du, alles vorbei, frage ich. Der Krieg, antwortet
Mutter. Es gibt immer einen Tag, an dem der Krieg vorbei ist, warum sollte
dieser Tag nicht morgen sein?
     

Tito hat Jugoslawien mit
eiserner Faust zusammengehalten, so Herr Berger, der von der renommierten
Tageszeitung aufschaut, sich ein bisschen zurücklehnt, weil heute Samstag ist,
er war doch, das muss man sagen, eine charismatische Führerpersönlichkeit,
Herr Berger bespricht sich mit Herrn Tognoni (einem Einwanderer, der es geschafft
hat, mehrere Bauunternehmen besitzt), und vor allem der Samstag ist der Tag,
den ich überstehen muss, ohne das Geschäft wäre der Samstag ein silberner Tag,
an dem es immer, zu jeder Stunde, eine kleine Überraschung geben könnte, an
diesem Tag müsste man um die Kastanienbäume stehen, direkt vor dem Mondial, am
Samstag, da die aufgesparten Wünsche sich zu einem grossen Wollen zusammentun,
jeder Fehler wiegt samstags doppelt so schwer, das wissen Nomi und ich, die
heute servieren, die Wünsche, die uns mit liebenswürdigem Blick erreichen,
liebenswürdig und unerbittlich, denke ich (die Ausnahmen wie Herr Schlosser,
der in seiner stillen Ecke sitzt, wunschlos glücklich mit seinem Kaffee Creme
und seiner Neuen Revue oder die beiden Schwestern, Frau Köchli und Frau
Freuler, die uns die Hände drücken, bevor sie sich setzen, und dieser
Händedruck ist so verschwenderisch in seiner Wärme und Direktheit, dass ich
jedes Mal überrascht bin, obwohl sie uns immer so begrüssen), all die
Samstagskönige und Samstagsköniginnen, deren Fingerzeige wir befolgen, und ich
habe es nie jemandem gesagt, dass ich samstags allen anderen begegne, nur mir
nicht.
    Tito hatte Jugoslawien im
Griff, muss man sagen, wiederholt Herr Berger, wussten Sie, dass er mit bürgerlichem
Namen Josip Broz hiess?, und Herrn Bergers Pfeife raucht, während ich am Tisch
stehe, darauf warte, was Herr Berger und Herr Tognoni bestellen wollen (einen
Gast darf man nie hetzen, am Samstag schon gar nicht). Der Balkan ist eine
einzige Krise, Herr Tognoni bestellt ein grosses Frühstück ohne Konfitüre,
dafür mit Drei-Minuten-Ei, der Balkan ist aber keine Einheit, Herr Berger,
dessen Rauchzeichen in meine Nase steigen, meine breiten Nasenflügel kitzeln
(Sie haben fast eine Afro-Nase, sagte einmal jemand, ein Gast, Ihre Nase würde
gut zu einem schwarzen Gesicht passen. Ja, finden Sie, finden Sie wirklich?),
ah ja, sagt Herr Berger zu meiner Bluse, einen Kaffee Creme für mich und einen
ganz hellen Milchkaffee mit Assugrin für meine Frau, meine Frau ist noch nicht
hier, aber Sie können ihn bereits bringen, weil meine Frau bald kommt. Gern,
sage ich. Und der Balkan ist ein Vielvölkerstaat mit einer interessanten
Geschichte, und Josip Broz war ein intelligenter Mann, er hat Nikita Chruschtschow
brüskiert, er, Tito, hat den dritten Weg versucht, der natürlich von
vornherein zum Scheitern verurteilt war, und: Waren Sie schon einmal in Jugoslawien?
Ja wirklich? Und Herr Tognoni war schon einmal in Jugoslawien, in Ljubljana, gar
nicht so weit von Italien entfernt, erzählt er, während ich aufdecke,
Tischset, Serviette, Messer und Löffel, Ljubljana sei nicht zu verachten, habe
was zu bieten, Slowenien sei ja mit dem Rest des Balkans gar nicht vergleichbar,
Österreich-Ungarn habe da einen entscheidenden Einfluss gehabt, das dürfe man
nicht vergessen. Und ich stelle das Körbchen auf den Tisch mit einem Croissant,
einer Semmel und einer Scheibe Brot.
    Ja, Slowenien hat mit dem
Balkan eigentlich nichts zu tun, davon bin ich auch überzeugt, sagt Herrn
Bergers Pfeife, Fräulein, meine Frau scheint doch noch nicht zu kommen, und ich
nehme den hellen Milchkaffee mit Assugrin selbstverständlich wieder mit, und
Herr Tognoni möchte statt der Semmel ein Milchbrötchen, ein helles oder ein
dunkles?, und Herr Tognoni ist ein Einwanderer, der es nicht nur beruflich
geschafft hat, sondern auch im Gemeinderat politisiert, für die Schweizerische
Volkspartei, und ausserdem hat er, wie er erzählt, letzte Woche mit seiner Frau
eine japanische Algenkur gemacht, ein dunkles, sagt Herr Tognoni akzentfrei.
Der

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