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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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sich im Garten
auf ihren Schemel setzt, die verblühten Maiglöckchen anstarrt und unter dem
Einfluss der Aprikosenrosen in ein inniges Gemurmel verfällt, im Glauben, dass
man den Liebes-, Frühlings-, Blumenmonat darum bitten könne, den einzigen Sohn
gesund, wohlbehalten, lebensfähig wiederzubringen, und nach mehrmaligem,
vergeblichem Rufen steht Onkel Piri im Garten, hört, wie seine Frau ein altes,
fast schon vergessenes Lied vor sich hinsummt, das er noch aus seiner
Soldatenzeit kennt: Ich heisse Fabian Pista, Soldat soll ich werden. Sie
wollen mir meine Locken abschneiden, so muss man dem Kaiser dienen. Ich heisse
Fabian Pista, Soldat soll ich werden. Sie wollen mir meine Locken abschneiden,
ich werde dem Kaiser nicht dienen.
    Bela, der sich monatelang bei
Freunden versteckt hatte, sich nur noch nachts nach draussen traute, sich an
einem abgelegenen Ort am Fluss mit seiner Frau und seinen Kindern traf, Belas
Magen, der anfing, sich selbst zu verdauen, das ist kein Leben mehr, sagte
seine Frau, du stirbst an deiner Magensäure und an deinen schwarzen Gedanken,
und ein paar Tage später kam Bela nach Hause, am helllichten Tag; er entlauste
die Hunde, flickte die Dachrinne, rupfte das Unkraut im Garten und verzog sich
auf den Dachboden seines Elternhauses, um seine Tauben zu pflegen und zu
füttern. Am nächsten Tag, in der Morgendämmerung, holten sie ihn ab, zu zweit
und bewaffnet — meistens holen sie die Männer nachts, hat Tante Icu erzählt,
sie kommen zu Fuss oder mit dem Fahrrad, die stillen Schritte, die nichts Gutes
bedeuten, der allzu behutsame Tritt in die Pedale - dann nehmt mich doch mit, ihr
Hunde, ihr Schweine, soll Bela geflucht haben, auf Serbokroatisch, aber sagt
mir vorher noch, für welche Nation ich sterben soll. Für Serbien!
Grossserbien!, rief einer der Soldaten, für wen denn sonst, du weltfremder
Taubenzüchter!
     
    Dalibor nimmt meine Hand, lass
uns zum Bootshaus gehen, und wir stehen auf, schauen uns in die Augen, als wir
stehen, weisst du, dass du eine undefinierbare Augenfarbe hast, sagt er, ich
sehe mir selten in die Augen, antworte ich, das ist seltsam, dass dir das noch
nie aufgefallen ist, so Dalibor, ich möchte in deinen Augen versinken, in
diesem vielfarbigen Meer, und ich, die aufhorcht, frage, warum willst du das,
denk dir nichts dabei, antwortet Dalibor, streichelt mit dem Daumen meine
Handfläche, und wir gehen los, die Kieselsteine, die unter unseren Schritten
knirschen, und ich, die im Vorbeigehen ein paar bekannte Gesichter grüsst, wir
gehen am Brunnen vorbei, zwei Kinder, die mit dem Wasserstrahl spielen, uns
mit verschmitzten Augen anspritzen, Dalibor, der sich fallen lässt, so tut,
als hätte ihn der Wasserstrahl verletzt, die beiden Kinder, die kichern, weiterspritzen,
bis Dalibor wieder aufsteht, ihnen mit den Fingern zuwinkt, und wir gehen an
der grossen Wiese vorbei, die im Sommer mit Badetüchern übersät ist, jetzt
ganz still und unberührt daliegt, was könnte man tun, frage ich, als wir uns
ins Bootshaus setzen, wo wir ungestört sind, die Sicht auf den See schön ist,
du meinst für deinen Cousin, fragt Dalibor, für meinen Cousin, meine Familie.
Ich glaube nicht, dass ich dich verstehe, sagt Dalibor, weil ich fatalistisch
bin (und es dauert eine Weile, bis ich ihn verstehe, da ich das englische Wort
für "fatalistisch" nicht kenne), du kannst die Ärzte ohne Grenzen
unterstützen, Amnesty International, Organisationen, die sich für unabhängige
Medien einsetzen, tu das, sagt Dalibor, und du tust es für dich, was völlig in
Ordnung ist, it's
okay, du
kannst niemandem direkt helfen, das ist dein Los, und Dalibor, der uns eine
Zigarette anzündet, ja, du bist fatalistisch, antworte ich, lege meine linke
Hand auf seinen Rücken; habe ich das Gegenteil behauptet?, fragt Dalibor nach
einer Pause, was erwartest du von mir? Wieso glaubst du, dass ich etwas von dir
erwarte?, und ich ziehe meine Schuhe aus, weil ich frieren möchte, ich will
spüren, wie meine Zehen kalt werden auf dem Holzboden, um dann meine Füsse zu
wärmen, an Dalibors Füssen, ich will, dass er spürt, dass er mich wärmt. Ich
glaube schon, dass du etwas von mir erwartest, und Dalibor schaut mich nicht
an, sondern den morschen Boden des Bootshauses, der See, der in den Ritzen der
Holzbretter schaukelt, dunkelgrün, fast schwarz, du glaubst zumindest, ich
wüsste Bescheid, über den Krieg, aber ich weiss nur, dass dieser Krieg, wie
jeder andere auch, so schnell wie möglich beendet

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