About a Boy
selbst. Sie waren voller Schokoriegel und Kaugummipäckchen. Er hatte es gar nicht gemerkt. Ihm war übel. Er begann zu erklären, aber Mr. Patel unterbrach ihn.
»Ich habe sie beobachtet, Marcus. Ist schon gut.«
Er ging zur Kasse und packte den Kram oben auf die Zeitun
gen.
»Sind sie in deiner Schule?«
Er nickte. »Denen gehst du besser aus dem Weg.«
Ja, klar. Scheiße auch. Denen aus dem Weg gehen. Als er heimkam, lag seine Mutter in einen Mantel gehüllt auf dem Fußboden und sah sich Zeichentrickfilme für Kinder an. Sie schaute nicht hoch. »Hast du heute nicht gearbeitet?«
»Heute Morgen. Heute Nachmittag habe ich mich krank ge
meldet.«
»Was hast du denn?«
Keine Antwort.
Das war nicht in Ordnung. Er war noch ein Kind. Das hatte er in letzter Zeit immer öfter denken müssen, während er immer älter wurde. Er wusste nicht, warum. Vielleicht deshalb, weil er, als er wirklich noch ein Kind war, nicht erkennen konnte, dass er noch ein Kind war - man musste erst in ein gewisses Alter kommen, ehe man verstand, dass man im Grunde noch recht jung war. Oder vielleicht hatte es, als er klein war, keinen Grund gegeben, sich Sorgen zu machen; vor fünf oder sechs Jahren hatte sich seine Mutter niemals den halben Tag lang zitternd in einen Mantel gehüllt, dämliche Zeichentrickfilme angesehen, und selbst wenn sie es getan hätte, hätte er darin möglicherweise nichts Ungewöhnliches gesehen. Aber irgendwas musste passieren. In der Schule war es beschissen, und zu Hause war es beschissen, und da Schule und Zuhause so ziemlich alles waren, was es für ihn gab, bedeutete das, dass es die ganze Zeit beschissen war, außer, wenn er schlief. Irgendwer würde etwas dagegen unternehmen müssen, denn er selbst konnte nichts dagegen unternehmen, und er konnte niemanden sehen, der dafür in Frage kam, außer der Frau unter dem Mantel.
Sie war komisch, seine Mutter. Sie war immer fürs Reden. Sie löcherte ihn dauernd, zu reden und sich ihr anzuvertrauen, aber er spürte, dass sie es nicht ernst meinte. Sie war spitze bei kleinen Alltagsdingen, aber er wusste, wenn er auf die großen Dinge kam, gäbe es Ärger, besonders jetzt, wo sie wegen nichts und wieder nichts stundenlang heulte. Aber gerade jetzt führte kein Weg daran vorbei. Er war noch ein Kind, und sie war seine Mutter, und wenn es ihm schlecht ging, war es ihr Job, dafür zu sorgen, dass es ihm nicht mehr schlecht ging, so einfach war das. Auch wenn sie keine Lust hatte, auch wenn es bedeutete, dass es ihr am Ende noch schlechter ging. Pech. Zu schade. Er war wütend genug, um jetzt mit ihr zu reden. »Warum glotzt du dir das an? Das ist Schrott. Das sagst du mir dauernd.« »Ich dachte, du magst Trickfilme.«
»Tue ich auch. Bloß die nicht. Die sind schrecklich.« Sie starrten beide schweigend auf den Bildschirm. So ein komisches, hundeähnliches Vieh war hinter einem Jungen her, der sich in eine Art fliegende Untertasse verwandeln konnte. »Was hast du?« Er stellte die Frage schroff, so wie ein Lehrer einen wie Paul Cox fragen würde, ob er die Hausaufgaben gemacht hatte. Wieder keine Antwort. »Mum, was für eine Krankheit hast du?«
»Oh, Marcus, es ist nicht so eine Krankheit, die … « »Verarsch mich nicht, Mum.«
Wieder weinte sie mit langen, unterdrückten Schluchzern, die
ihm panische Angst einjagten.
»Du musst damit aufhören.«
»Ich kann nicht.«
»Du musst. Wenn du dich nicht ordentlich um mich kümmern kannst, musst du jemanden finden, der es kann.«
Sie rollte sich auf den Bauch und sah ihn an.
»Wie kannst du sagen, ich würde mich nicht um dich kümmern?«
»Weil du es nicht tust. Das Einzige, was du für mich tust, ist kochen, und das könnte ich auch. Den Rest der Zeit heulst du bloß. Das ist … das ist nicht gut. Das ist nicht gut für mich.« Sie weinte noch heftiger, und er ließ sie weinen. Er ging rauf in sein Zimmer und spielte mit Kopfhörern NBA-Basketball, obwohl er das eigentlich nicht sollte, wenn er am nächsten Morgen Schule hatte. Als er nach unten kam, war sie aufgestanden, hatte das Federbett weggeräumt, schaufelte Nudeln und Soße auf Teller und wirkte ganz normal. Er wusste, dass sie nicht normal war - er war zwar noch ein Kind, aber alt genug, um zu wissen, dass Leute nicht aufhörten, bekloppt zu sein (denn das, wurde ihm langsam klar, war die Krankheit, die sie hatte), nur weil man ihnen sagte, sie sollten damit aufhören - aber es kümmerte ihn nicht, solange sie in seiner Gegenwart normal war.
»Du
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