About a Boy
die Treppe zum Hauseingang hoch waren die Socken wieder klatschnass geworden.) Er schaute auf seine Füße, und im ersten Moment sagte er gar nichts: Er spielte mit dem Gedanken, völlig überrascht zu tun und ihr zu sagen, er wisse es nicht, aber ihm wurde schnell klar, dass sie ihm nicht glauben würde. »Gestohlen«, sagte er schließlich.
»Gestohlen? Warum sollte irgendwer deine Schuhe stehlen wollen?«
»Weil … « Er würde die Wahrheit sagen müssen. Das Problem war nur, dass die Wahrheit noch sehr viel mehr Fragen nach sich ziehen würde. »Weil sie schön waren.«
»Es waren ganz gewöhnliche schwarze Halbschuhe.«
»Nein, waren sie nicht. Es waren neue Adidas-Turnschuhe.« »Und wo hast du neue Adidas-Turnschuhe her?« »Will hat sie mir gekauft.«
»Will wer? Will, der Typ, der uns zum Lunch eingeladen hat?« »Ja, Will. Der Typ von SPAT. Er ist so was wie mein Freund.« »Er ist so was wie dein Freund?«
Marcus irrte sich nicht. Sie hatte noch sehr viel mehr Fragen, nur die Art, wie sie sie stellte, war ein wenig langweilig: Sie wiederholte einfach das Letzte, was er gesagt hatte, hängte am Schluss ein Fragezeichen an und brüllte. »Ich gehe nach der Schule in seine Wohnung.«
»DU GEHST NACH DER SCHULE IN SEINE WOHNUNG?« Oder:
»Na ja, weißt du, in Wirklichkeit hat er gar kein Kind.« »IN WIRKLICHKEIT HAT ER GAR KEIN KIND?« Und so weiter. Na, jedenfalls, das Ende vom Lied war, dass er ziemlichen Ärger bekam, wenn auch vielleicht nicht ganz so viel wie Will.
Marcus zog seine alten Schuhe wieder an, und dann gingen er und seine Mutter schnurstracks zu Wills Wohnung. Fiona brüllte Will an, kaum dass sie eingetreten waren, und am Anfang, als sie ihn wegen SPAT und seines Phantasiesohns herunterputzte, machte er ein beschämtes und entschuldigendes Gesicht - er hatte keine Antwort auf irgendeine ihrer Fragen, also stand er nur da und blickte betreten zu Boden. Aber nach einer Weile wurde er selbst wütend.
»Okay«, sagte Fiona gerade. »Und was zum Teufel habe ich von diesen kleinen Teeparties nach der Schule zu halten?« »Bitte?«
»Was bringt einen erwachsenen Mann dazu, sich Tag für Tag mit einem Zwölfjährigen abzugeben?«
Will sah sie an. »Wollen Sie damit andeuten, was ich glaube,
dass Sie andeuten?« »Ich deute gar nichts an.«
»Ich glaube, das stimmt nicht ganz, wie? Sie deuten an, dass ich mit Ihrem Sohn … rumgemacht habe.«
Marcus sah Fiona an. War es das, worüber sie sich aufregte? Rummachen?
»Ich frage nur, warum Sie Zwölfjährige in Ihrer Wohnung bewirten.«
Will verlor die Geduld. Er wurde rot im Gesicht und fing an zu brüllen.
»Scheiße, ich habe ja wohl keine andere Wahl, oder? Ihr Sohn kreuzt hier jeden verdammten Abend uneingeladen auf. Manchmal wird er von irgendwelchen Schlägerkommandos verfolgt. Ich könnte ihn draußen sich selbst überlassen, aber zu seiner eigenen Sicherheit habe ich ihn reingelassen. Das nächste Mal kann er mich gern haben. Sie können mich beide mal. Und jetzt dürfen Sie sich verpissen, wenn das alles ist.« »Nun, das ist noch lange nicht alles. Warum haben Sie ihm ein teures Paar Turnschuhe gekauft?«
»Weil … na, ich meine, sehen Sie ihn sich an.« Sie sahen ihn
an. Selbst Marcus sah sich an.
»Was stimmt mit ihm nicht?«
Will sah sie an. »Sie haben keine Ahnung, wie? Sie haben
wirklich keine Ahnung.«
»Wovon?«
»Marcus geht in der Schule durch die Hölle, wissen Sie. Die nehmen ihn an jedem einzelnen beschissenen Tag der Woche auseinander, und Sie machen sich Sorgen darüber, woher er seine Turnschuhe hat und ob ich ihn missbrauche.« Plötzlich fühlte sich Marcus erschöpft. Er hatte nie richtig begriffen, wie die Dinge lagen, bis Will zu brüllen anfing, aber es stimmte, er wurde wirklich an jedem einzelnen beschissenen Tag der Woche auseinander genommen. Bis eben hatte er die Tage der Woche niemals auf diese Weise verknüpft: Jeder Tag war ein schlechter Tag, aber er überlebte, indem er sich vormachte, jeder der schlechten Tage sei vom Tag davor irgendwie losgelöst. Jetzt sah er ein, wie dumm das war und wie beschissen alles lief, und er wollte sich ins Bett legen und bis zum Wochenende nicht wieder aufstehen.
»Marcus kommt gut zurecht«, sagte seine Mutter. Zuerst konnte er nicht glauben, dass sie das gesagt hatte, und dann, nachdem er Zeit gehabt hatte, die Worte in seinen Ohren nachklingen zu lassen, versuchte er, sie anders auszulegen. Vielleicht gab es einen anderen Marcus? Vielleicht gab es etwas
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