About a Boy
der Stadt. Nicht im Lande. Er gibt mir seine Telefonnummer, wenn er umzieht.« »Verstehe.«
Immerhin war es Will gelungen, das Gespräch auf weniger schlüpfrigen Boden zu lenken. Ehe er die Marcus-Karte ausgespielt hatte, war er schon beim ersten Schritt ins Schlittern geraten. Nun hatte er eher das Gefühl, einen Berg als einen Glet scher zu besteigen. Er sah sich förmlich am Fuß der Felswand stehen und nach sicheren Trittmöglichkeiten ausschauen. »In welchem Land ist er denn?«
»In den Staaten. Kalifornien. Australien wäre mir lieber, aber was will man machen? Wenigstens ist es die Westküste.« Will schätzte, dass er dieses Gespräch mittlerweile in siebenundfünfzig Variationen erlebt hatte, aber dadurch hatte er einen Vorteil: Er wusste, wie es ablief, und genau so lief es ab. Er hatte vielleicht in den letzten fünfzehn Jahren nichts Großes geleistet, aber er konnte mitfühlend nicken, wenn eine Frau ihm erzählte, wie schrecklich ihr Exmann sich aufgeführt hatte. Mitfühlend nicken konnte er mittlerweile richtig gut. Aber es funktionierte, wie so oft - es hatte noch nie jemandem geschadet, sich die Sorgen und Nöte anderer Menschen aufmerksam anzuhören. Nach SPAT-Kriterien war Rachels Geschichte nichts Besonderes, und wie sich herausstellte, hasste sie ihren Ex eher dafür, wie er war, als dafür, was er ihr angetan hatte.
»Warum zum Teufel hast du dann ein Kind mit ihm?« Er war betrunken. Es war Silvester. Ihm war nach einer kleinen Dreistigkeit.
Sie lachte. »Gute Frage. Nicht zu beantworten. Manchmal än
dert man seine Meinung über Menschen. Wie heißt denn Mar
cus’ Mutter?«
»Fiona.« Was natürlich stimmte.
»Hast du deine Meinung über sie geändert?«
»Eigentlich nicht.«
»Wo war das Problem?«
»Weiß nicht.« Er zuckte mit den Schultern, und irgendwie gelang ihm die ziemlich überzeugende Darstellung eines immer noch konsternierten, ja, wie vor den Kopf geschlagenen Mannes. Die Antwort und die Gesten waren aus schierer Verzweiflung geboren; es war schon ironisch, dass sie sich zufällig
passend ergänzten.
Rachel lächelte, nahm ihr unbenutztes Messer in die Hand und inspizierte es. »Letzten Endes ist ›weiß nicht‹ wohl die einzig ehrliche Antwort, die man geben kann, oder? Denn ich weiß es auch nicht, und ich würde mir selbst und dir etwas vormachen, würde ich etwas anderes behaupten.«
Um Mitternacht trafen sie sich wieder und gaben sich einen Kuss, der irgendwo zwischen Wange und Mund landete und in seiner verlegenen Mehrdeutigkeit hoffentlich bedeutungsvoll war. Und um halb eins, kurz bevor Rachel ging, machten sie aus, dass sich ihre Jungs kennen lernen sollten, um über Skateboards, Baseballcaps und die Weihnachtsfolge der Simpsons zu diskutieren.
25
Ellie war auf Suzies Silvesterparty. Im ersten Moment glaubte Marcus, es sei nur jemand, der wie Ellie aussah und das gleiche Kurt-Cobain-T-Shirt wie Ellie trug, aber dann sah ihn die Ellie-Doppelgängerin, brüllte »Marcus!«, kam auf ihn zu, umarmte ihn und küsste ihn auf die Stirn, was so ziemlich jedes Missverständnis beseitigte. »Was machst du denn hier?«, fragte er.
»Wir sind Silvester immer hier«, sagte sie. »Meine Mutter ist
mit Suzie dick befreundet.«
»Ich hab dich hier noch nie gesehen.«
»Du bist auch Silvester noch nie hier gewesen, Trottel.«
Das stimmte. Er war schon oft in Suzies Wohnung gewesen,
aber noch nie zu einer Party. In diesem Jahr durfte er zum er
sten Mal mit. Wie schaffte er das nur, selbst im simpelsten,
unkompliziertesten Gespräch mit Ellie noch etwas Blödes zu
sagen?
»Welche ist deine Mutter?«
»Frag nicht«, meinte Ellie. »Nicht jetzt.«
»Warum nicht?«
»Weil sie gerade tanzt.«
Marcus sah zu dem kleinen Grüppchen hin, das in der Ecke tanzte, wo sonst der Fernseher stand. Es waren vier Personen, drei Frauen und ein Mann, und nur eine schien richtig gut drauf zu sein: Sie boxte irgendwie mit den Fäusten in die Luft und schüttelte ihre Haare. Marcus erriet, dass das Ellies Mutter sein musste - nicht weil sie ihr ähnlich sah (keine Erwachsene sah wie Ellie aus, denn keine Erwachsene würde sich die Haare mit der Küchenschere zurechtschnippeln und schwarzen Lippen stift tragen, und das war das erste, was man sah), sondern weil es Ellie offensichtlich peinlich war und das die einzige Tänzerin war, die man peinlich finden konnte. Den anderen Tänzern war es selbst peinlich, und damit konnten sie nicht eigentlich peinlich sein: Sie taten nicht viel mehr, als
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