About Ruby
es.« Jamie schüttelte den Kopf, klappte eine Brotscheibe zusammen. »Wir haben das gesamte Wochenende zusammen in ihrem Zimmer verbracht. Haben uns Filme angeschaut und getoastetes Zeugs gegessen. Es war das beste Thanksgiving meines Lebens.«
Wieder blickte ich zu Cora hinüber und dachte daran, was Denise am Abend der Party zu mir über sie gesagt hatte. Ich konnte mir meine Schwester schwer als den mütterlichen Typ, als die Fürsorgliche vorstellen. Und dabei war sie das nicht nur für andere gewesen, sondern vor allem auch für mich. Damals wie heute. Krass.
»Damit will ich nicht sagen, dass andere Thanksgiving-Feste nicht genauso gut oder auf ihre Weise sogar besser sein können«, fuhr Jamie fort. »Deshalb freue ich mich auch so auf dieses spezielle Thanksgiving. Ich meine, ich liebe dieses Haus, aber es fühlt sich bisher noch nicht wie ein richtiges Zuhause an. Doch ab morgen, wenn alle hier sind und um diesen Tisch sitzen und vorlesen, wofür sie dankbar sind – ab morgen wird sich das ändern.«
Ich hörte zwar zu, allerdings nur mit halbem Ohr, da ich nach wie vor intensiv an Cora und ihre Pizzatoasts dachte. Deshalb verstand ich bloß die Hälfte. Zumindest im ersten Moment. Doch dann sickerte der letzte Teil des Satzes in mein Bewusstsein: »Vorlesen, wofür man dankbar ist?«
»Klar.« Jamie nahm sich noch eine Scheibe Brot, zog das Glas mit der Erdnussbutter näher zu sich heran. »Stimmt, jetzt fällt es mir wieder ein. Auch so eine Tradition, die ihr zwei daheim nicht hattet.«
»Äh, nein«, antwortete ich. »Ich weiß nicht einmal, worum es geht.«
»Wonach klingt es denn?« Er schaufelte einen dicken Klecks Erdnussbutter aus dem Glas, verteilte ihn auf der Brotscheibe. »Man macht eine Liste mit allem, wofür man dankbar ist, deshalb heißt es ja Thanksgiving. Und liest sie während des Essens vor. Das ist super.«
»Muss man? Oder ist das freiwillig?«, fragte ich.
»Wie bitte?« Er legte das Messer vor lauter Entsetzen so hastig hin, dass es schepperte. »Du willst dich drücken?«
»Keine Ahnung . . . Ich wüsste einfach nicht, was ich schreiben sollte«, antwortete ich. Jamie wirkte dermaßen überrascht, dass ich mich unwillkürlich fragte, ob ich ihn gekränkt hatte, deshalb fügte ich rasch hinzu: »So spontan, meine ich.«
»Aber das ist doch das Gute dran.« Er fuhr fort, die Erdnussbutter auf dem Brot zu verteilen. »Du brauchst es ja gar nicht spontan zu tun. Du kannst deine Liste machen, wann immer du möchtest.«
Ich nickte. Als wäre das mein einziger Vorbehalt gewesen. »Ah ja.«
»Keine Bange«, sagte er. »Du kriegst das schon hin, davon bin ich überzeugt.«
Jamie, der Optimist. Schon bewundernswert, wie in seinen Augen schlichtweg alles möglich war: ein Teich mitten in der Vorstadt, eine missratene Schwägerin auf dem College, ein Haus, aus dem ein Zuhause wurde, Dankbarkeitslisten von allen für alle. Natürlich stand überhaupt nicht fest, ob sich irgendeine dieser Vorstellungen und Wünsche erfüllen würde. Aber darum ging es vielleicht auch gar nicht. Was zählte, waren die Pläne, die Träume, egal ob sie wahr wurden oder nicht.
Und jetzt hockte Cora in meinem Kleiderschrank und ich stand davor. Es klingelte unten an der Haustür. Roscoestellte die Ohren auf und bellte, was in dem beengten Raum überlaut widerhallte.
»Mein Auftritt.« Rasch zog ich meinen Pullover aus, schnappte mir einen anderen, der in Reichweite auf einem Bügel hing. »Ich wollte bloß –«
Ich spürte, wie sich eine Hand um mein Bein klammerte. Verlor fast das Gleichgewicht. »Lass Jamie aufmachen«, sagte sie. »Bleib einfach noch einen Moment hier, bei mir. Okay?«
»Möchtest du, dass ich zu dir reinkomme?«
»Nein.« Sie streckte die Hand aus, um Roscoes Ohren zu kraulen, bevor sie etwas leiser hinzufügte: »Ich meinte, nur, falls du möchtest.«
Ich ging in die Hocke. Sie rutschte ein Stück beiseite. Ich kroch zu ihr in den Schrank und schob meine Stiefel weg, damit ich mich neben sie setzen konnte.
»Siehst du?«, meinte sie. »Ist doch gemütlich hier drinnen.«
»Okay.« Ich holte tief Luft. »Ich sag’s jetzt doch. Du verhältst dich, als wärst du durchgeknallt.«
»Und? Willst du mir das wirklich zum Vorwurf machen?« Cora ließ sich gegen die Wand sacken –
flatsch
. »Gleich wird es hier wimmeln von Menschen, die ein perfektes Thanksgiving erwarten. Das Familienfest schlechthin. Und wer ist dafür verantwortlich? Ich. Dabei bin ich nun wirklich
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