About Ruby
unsere Ebenbilder. Schließlich sagte ich: »Kannst du dich an Thanksgiving bei uns früher erinnern?«
»Nein«, meinte sie leise. »Nicht so richtig.«
»Ich auch nicht«, erwiderte ich. »Auf in den Kampf!«
***
Ich sah nicht plötzlich alles positiv, das war es nicht. Andererseits war ich inzwischen tatsächlich ein Stück weit aus meiner negativen Ecke rausgekommen.
Am Thanksgiving-Morgen allerdings, als Cora, in eine Wolke Mehl gehüllt, im Vollstress durch die Küche wirbelte, alle paar Minuten ausflippte, jedem, der es wagte, ihr zu nahzu kommen, mit dem Kochlöffel drohte und zwischendurch sogar in Tränen ausbrach – da wünschte ich mir nichts sehnlicher als einen Grund, um dem Chaos der Essensvorbereitungen zu entkommen. Zum Glück wurde mir ein sehr guter geliefert.
»Hallo«, meinte Nate, bei ihnen daheim in der Küche. Ich war durch die Terrassentür ins Haus gekommen, balancierte insgesamt vier Kuchen auf zwei Backblechen. »Für mich? Das wäre aber nicht nötig gewesen.«
»Falls du auch nur
einen
Krümel vom Teig naschst«, meinte ich warnend, während ich die Bleche vorsichtig zum Backofen trug, »wird Cora dich eliminieren. Vermutlich mit einem Schneebesen.«
»Wow!« Er zuckte übertrieben verstört zusammen. »Ganz schön drastisch.«
»Nimm’s als gut gemeinte Warnung.« Ich stellte die Kuchen ab. »Darf ich loslegen und den Ofen vorheizen?«
»Klar. Er gehört dir.«
Ich wählte die Temperatur und schaltete den Ofen ein. Dann drehte ich mich um, lehnte mich dagegen. Nate blätterte einen dicken Stapel Papier durch, notierte zwischendurch immer mal wieder etwas. »Stressiger Tag, was?«
»Absolut.« Er blickte kurz auf und mich an. »Die Hälfte unserer Kunden ist verreist, sodass wir nach ihren Häusern oder Wohnungen und Tieren schauen müssen. Die andere Hälfte hat Familienbesuch und wir müssen doppelt so viel für sie erledigen wie sonst. Außerdem gibt es dann noch diejenigen, die komplette Menüs bestellt haben und jetzt auf ihre Lieferungen warten.«
»Klingt nach Irrenhaus«, meinte ich.
»Muss nicht so sein.« Er kritzelte wieder etwas. »Solange man es militärisch und präzise durchplant.«
»Nate?« Sein Vater rief ihn vom Flur her. »Wann muss das Zeug für Chambells abgeholt werden?«
»Um elf«, rief Nate zurück. »In zehn Minuten fahre ich los.«
»Besser in fünf. Man weiß nie, wie viel sie zu tun haben und ob sie vielleicht sowieso spät dran sind. Hast du alle Schlüssel, die du brauchst?«
»Ja.« Nate streckte die Hand aus, öffnete eine Schublade in der Nähe des Spülbeckens, holte einen Schlüsselbund heraus und ließ ihn auf die Küchentheke fallen –
klonk
.
»Schau lieber noch mal nach«, rief Mr Cross von draußen. »Ich möchte nicht hierher zurückkommen müssen, falls du irgendwo hängen bleibst.«
Nate nickte und schrieb sich noch etwas auf. Irgendwo im Haus wurde eine Tür zugeknallt.
»Klingt, als wäre er im Stress«, sagte ich.
»Das ist der erste große, wichtige Feiertag seit Gründung der Firma«, antwortete Nate. »Und nur wegen heute ist es ihm gelungen, jede Menge neue Kunden anzuwerben. Aber sobald wir erst einmal losgelegt haben und die Sachen nacheinander abarbeiten, entspannt er sich bestimmt.«
Vielleicht hatte er ja recht. Doch gleichzeitig konnte ich immer noch hören, wie Mr Cross irgendwo im Haus rumirrte und vor sich hin murmelte. Es klang ein wenig wie früher bei meiner Mutter, wenn sie sich geräuschvoll für die Arbeit fertig gemacht hatte. Eine Arbeit, zu der sie nur widerwillig aufbrach. »Wann bekommt ihr denn in dem ganzen Chaos euer eigenes Thanksgiving-Dinner?«
»Gar nicht«, entgegnete er mir. »Außer es zählt, wenn man mit dem Truthahn und den Kartoffeln für wen anders auf der Rückbank beim Drive-in vorbeifährt und sich schnell einen Hamburger besorgt.«
»Klingt echt übel«, sagte ich.
Er zuckte die Schultern. »Ich bin kein großer Feiertagsfan.«
»Ehrlich?«
Er hob fragend die Augenbrauen. »Was ist daran so verwunderlich?«
»Keine Ahnung«, antwortete ich. »Wahrscheinlich dachte ich bloß, dass jemand wie du, der so nett und so kommunikativ ist, auf die Art von Familientreffen steht. Für Jamie gilt das jedenfalls.«
»Ach ja?«
Ich nickte. »Es geht sogar noch weiter. Ich dürfte eigentlich gar nicht hier rumstehen und mit dir quatschen, sondern müsste eine Dankbarkeitsliste zusammenstellen.«
»Eine was?«
»Du sagst es.« Ich deutete mit dem Finger auf ihn.
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