About Ruby
ein.
Könnte man so sagen
, lautete seine Antwort, als ich ihn gefragt hatte, ob er auch bei UMe sei. Was für eine Untertreibung!
». . . ein paar Formulare holen und dann stellen wir einen Stundenplan für Sie zusammen«, sagte Mr Thackray gerade. »Einverstanden?«
Eine Sekunde zu spät kapierte ich, dass er mit mir geredet hatte. »Jou«, meinte ich. Und schluckte. »Ja, wollte ich sagen.«
Er nickte, schob den Stuhl zurück, erhob sich und verließ den Raum. Jamie lehnte sich erneut zurück und betrachtete prüfend die Nähte eines seiner Turnschuhe. Der Typ auf dem Rasenmäher war mit der einen Seite des Feldes fertig und kroch mit seinem Minitrecker gerade auf die andere zu.
»Bist du . . .?«, begann ich. Jamie blickte auf und mich an. »Gehört dir UMe?«
Er stellte den Fuß ab. »Nun . . . nicht ganz. Mir und noch ein paar Leuten.«
»Aber er meinte, du seist der Besitzer«, sagte ich.
Jamie seufzte. »Ich habe die ganze Sache ursprünglich mal angefangen«, erwiderte er. »Als ich frisch mit dem College fertig war. Aber jetzt habe ich so eine Art Aufsichtsfunktion.«
Ich sah ihn bloß an.
»Geschäftsführer«, gab er zu. »Aber was bedeutet das schon anderes als ›Aufsicht haben‹? ›Geschäftsführer‹ klingt so pompös.«
»Ich fasse es nicht, dass Cora mir nichts davon erzählt hat«, sagte ich.
»Du kennst doch Cora.« Er lächelte. »Es ist schwer, sie zu beeindrucken, außer man arbeitet achtzig Stunden pro Woche, um die Welt zu retten, so wie sie.«
Wieder blickte ich zu dem Typen auf dem Rasenmäher hinaus und sah zu, wie er vorbeituckerte. »Cora rettet die Welt?«
»Sie versucht es jedenfalls«, entgegnete er. »Hat sie dir nicht von ihrer Arbeit erzählt? In dem Büro, in dem sich die ganzen Pflichtverteidiger zusammengeschlossen haben?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass Cora Jura studiert hatte, bis gestern, als die Leiterin des
Poplar House
sie nach ihrem Beruf gefragt hatte. Meine letzte Information über ihre Ausbildung war fünf Jahre alt. Damals hatte sie ihren College-Abschluss gemacht, und wir hatten davon ohnehin bloß deshalb erfahren, weil aus irgendeinem unerfindlichen Grund eine Ankündigung der Verleihungszeremonie bei uns gelandet war, eine Karte aus dickem, edlem Papier mit ihrem Namen darauf. Ich weiß noch, dass ich Karte und Umschlag eingehend betrachteteund mich fragte, warum der Brief überhaupt bei uns eingetrudelt war; schließlich gab es bereits seit Jahren keinen Kontakt mehr zwischen uns. Als ich meine Mutter darauf ansprach, zuckte sie bloß die Schultern und meinte, so etwas würden die Unis automatisch versenden. Das leuchtete mir ein. Schließlich hatte Cora es zu dem Zeitpunkt mehr als deutlich gemacht, dass sie mit uns in ihrem neuen Leben nichts mehr zu tun haben wollte, dass wir nicht dazugehörten. Und uns war das nur recht.
»Na ja«, begann Jamie in die beklommene Stille hinein, die zwischen uns entstanden war, und ich fragte mich, was genau er eigentlich über unsere Familie wusste und ob vielleicht sogar die Tatsache, dass ich existierte, eine Überraschung für ihn gewesen war. So viel zum Thema Gepäck. »Ihr zwei habt wohl einiges miteinander nachzuholen, schätze ich, oder?«
Ich blickte auf meine Hände und schwieg. Kurze Zeit später kehrte Mr Thackray mit einem Stapel Blätter in das Büro zurück und fing an, irgendetwas von Mitschriften und zensurenrelevanten Kursen zu erzählen. Wodurch unsere kleine Unterhaltung rasch in den Hintergrund trat. Im Nachhinein wünschte ich mir allerdings manchmal, ich hätte meinen Mund aufgemacht oder wenigstens versucht zu erklären, dass es eine Zeit gab, in der keiner Cora so gut kannte wie ich. Aber das war lange her. Damals hatte sie noch nicht versucht, die Welt zu retten. Bloß mich.
***
Als ich klein war, sang meine Mutter mir immer vor, und zwar jeden Abend, wenn sie in mein Zimmer kam, um Gute Nacht zu sagen. Dann setzte sie sich auf meine Bettkante, strich mir die Haare aus dem Gesicht, gab mir einen Gutenachtkussund meinte: »Bis morgen früh.« Ihr Atem roch süß nach dem »gepflegten Gläschen Wein« (manchmal waren es auch zwei), das sie bis zu dem Zeitpunkt getrunken hatte – viel mehr wurden es damals in der Regel noch nicht. Wenn sie aufstand, um zu gehen, protestierte ich und bat sie, mir etwas vorzusingen. Wenn sie nicht zu schlechte Laune hatte, ging sie normalerweise darauf ein.
Damals glaubte ich, meine Mutter hätte die Lieder, die
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