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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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dem Augenblick, als ich aufsah, um herauszufinden, wer das gesagt hatte, wurde der Rucksack neben mir beiseitegeschoben. »Was hast du gezogen?«
    Das Geheimnis war gelüftet: Bei meinem Gegenüber handelte es sich, wie ich leicht verdutzt feststellte, um das Mädchen mit den Rastazöpfen, die während ihres Spurts über den Parkplatz ununterbrochen telefoniert hatte. Sie hatte tiefgrüne Augen und ein Piercing in der Nase, einen kleinen Diamantstecker. Jetzt schubste sie den Rucksack über den Tischrand, sodass er mit einem dumpfen Geräusch auf dem Fußboden landete, und blickte mich dann erneut an. »Hallo-o?«, sagte sie. »Kannst du sprechen?«
    »Familie«, antwortete ich und schob meinen Zettel über den Tisch auf sie zu, als bräuchte sie visuelle Bestätigung. Sie warf einen Blick darauf. Seufzte vielsagend. »Und du?«
    »Geld«, erwiderte sie knapp und verdrehte die Augen. »War ja klar, dass der einzige Mensch hier, der keins hat, darüber schreiben muss. Für alle anderen wäre das auch
zu
einfach.«
    Sie sprach so laut, dass Ms Conyers, die auf dem Rückweg zum Lehrertisch war, sich umdrehte. »Was ist los, Olivia? Gefällt dir dein Begriff nicht?«
    »Der Begriff gefällt mir schon«, antwortete sie, »bloß die Aufgabe nicht.«
    Ungerührt lächelnd setzte Ms Conyers ihren Weg nach vorne fort. Olivia knüllte ihren Zettel zusammen, stopfte ihn in die Tasche. »Möchtest du tauschen?«, fragte ich sie.
    Sie warf einen erneuten Blick auf mein »Familie«. »Nö«, antwortete sie gleichgültig. »Darüber weiß ich zu
viel

    Glückspilz
, dachte ich. Ms Conyers setzte sich wieder auf den Tisch; mittlerweile hielt sie ein schmales Buch in der Hand. »So, und jetzt zu unserer aktuellen Lektüre. Wer erzählt uns als Erster davon, was er sich bei den Kapiteln von
David Copperfield
, die für heute Hausaufgabe waren, gedacht hat?«
    Dreißig Minuten und ein heftiges literarisches Déjà-vu-Erlebnis später klingelte es endlich. Wie auf Kommando begannen alle durcheinanderzuquatschen, schoben ihre Stühle zurück und sammelten ihr Zeug ein. Als ich mich bückte, um mir meinen Rucksack zu angeln, nahm ich fast schmerzlich deutlich war, dass er an diesem Ort ebenso fehl am Platz wirkte wie ich   – alt, schäbig, mit Heften und Büchern vollgestopft, die Informationen enthielten, welche in dieser Umgebung vollkommen unnütz waren. Schon am Morgen hatte ich kurz überlegt, ob ich den ganzen Krempel nicht besser wegwerfen sollte, ihn jedoch stattdessen stupide mit mir herumgeschleppt. Was unter anderem dazu geführt hatte, dass ich in meinem Heft jede Menge Seiten mit Anmerkungen zu
David Copperfield
hatte durchblättern müssen, bis ich etwas freien Platz fand, um noch mehr, aber im Prinzip dieselben Notizen zu machen. Ich steckte den Zettel mit dem Wort »Familie« in ein Heft. Ließ die Rucksackklappe zufallen.
    »Du warst auf der Jackson High?«
    Ich blickte zu Olivia auf. Sie stand, Handy in der Hand, neben dem Tisch und hatte sich soeben ihren Monsterrucksack über die Schulter gehievt. Im ersten Moment kapierte ich nicht, wie sie darauf kam: Lag es an meinem billigen Rucksack? Oder was verriet ihr meine Vergangenheit? Bismir der
JACKSON SPIRIT!
-Aufkleber auf meinem Heft einfiel, den ein übereifriges Mitglied des Cheerleader-Clubs im Hausaufgabenraum mal draufgepappt hatte. »Äh, ja«, erwiderte ich. »Das ist meine Schule. Ich meine . . . sie war’s.«
    »Bis wann?«
    »Bis vor ein paar Tagen.«
    Während sie diese Info verarbeitete, musterte sich mich mit schräg geneigtem Kopf aufmerksam. Aus ihrem Handy drang leise das Freizeichen eines anderen Telefons: Offenbar hatte sie in der Zwischenzeit eine Nummer gewählt, ohne dass der Angerufene bislang abgehoben hatte. »Ich auch«, sagte sie schließlich und zeigte auf ihre Jacke. Erst jetzt, da ich genauer hinschaute, bemerkte ich das große J (für Jackson).
    »Echt?«, fragte ich.
    Sie nickte. »Bis letztes Jahr. Aber du kommst mir nicht bekannt vor.« Durch das Handy drang ein entferntes
Klick
und jemand sagte: »Hallo?« Olivia hielt es sich ans Ohr.
    »Ist eben eine ziemlich große Schule«, meinte ich.
    »Was du nicht sagst.« Obwohl vom anderen Ende der Leitung in der Folge noch ein paar Hallos kamen, sprach sie nicht in den Hörer, sondern weiter mit mir: »Außerdem laufen die Dinge dort ziemlich anders als hier.«
    »Sieht so aus.«
    »Und zwar mehr, als du ahnst. Möchtest du einen guten Rat?«
    Wie sich herausstellte, war das eine

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