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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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hastig den Schlüssel hervor, der um meinen Hals hing. Ich hatte ihn kaum ins Schloss gesteckt, da drehte sich der Türknauf, der sich total vertraut anfühlte, bereits mit einem sanften Klicken in meiner Hand. Und dann war ich drin.
    »Mom?!«, rief ich. Meine Stimme hallte von sämtlichen glatten, leeren Oberflächen im Haus wider. Ich stürzte indie Küche. Meine provisorische Wäscheleine hing noch da, meine Jeans und T-Shirts baumelten daran. Ich schob mich zwischen ihnen durch. Sie rochen muffig, fühlten sich steif an. »Hallo?«
    Auf dem Beistelltisch im Wohnzimmer standen mehrere Bierflaschen; die Decke, die normalerweise zusammengefaltet auf der einen Sofalehne lag, krumpelte sich in einer Ecke zu einem dicken Knäuel. Ich spürte, wie mein Herz einen Augenblick aussetzte.
Ich
hätte die Decke zusammengefaltet und wieder an ihren Platz gelegt. Oder etwa nicht?
    Ich lief weiter, öffnete die Tür zu meinem Zimmer, schaltete das Licht ein   – eine einsame Glühbirne unter der Decke. Bis auf die Tatsache, dass die Schranktür offen stand, sah mein Zimmer genauso aus wie in dem Moment, als ich an jenem letzten Morgen das Haus verlassen hatte. Wahrscheinlich hatte der Mensch, der meine Sachen gepackt und ins
Poplar House
gebracht hatte, die Tür offen gelassen. Ich drehte mich um, durchquerte erneut das Wohnzimmer, lief zu der anderen Schlafzimmertür, die zu war. Legte meine Hand auf den Türgriff. Schloss die Augen.
    Es fühlte sich nicht so an, wie wenn man sich etwas wünscht oder hofft, dass aus einem Traum Wirklichkeit wird. Trotzdem versuchte ich mir in dem Moment bewusst all die Male zu vergegenwärtigen, da ich direkt nach dem Heimkommen zu dieser Tür gelaufen war, um sie leise und behutsam zu öffnen und nach meiner Mutter zu schauen. Denn sie würde zusammengerollt im Bett liegen, die Haare auf dem Kopfkissen ausgebreitet, und rasch ihre Augen abschirmen, weil mit mir für ihren Geschmack viel zu viel Licht ins Zimmer drang. Dieses Bild stand mir so deutlich vor Augen, dass ich   – während ich die Tür nun öffnete   – mir fast sicher war, einen Blick auf etwas Rotes zu erhaschen,eine leise Bewegung auszumachen. Mein Herz klopfte wie wild   – mein verräterisches Herz! Denn unvermittelt wurden dadurch die Gefühle aufgedeckt, die ich vor mir selbst und dem Rest der Welt seit einer knappen Woche (und nicht erst seitdem) so sorgfältig verborgen hatte.
    Doch genauso schnell, wie mich jenes Bild überwältigt hatte, war das Ganze auch schon wieder vorbei. Fand so eine Art Verschiebung statt. Das Zimmer und was darin war, rückte an seinen Platz, sah aus wie immer: das Bett, die düsteren Wände . . . auch das bewusste Fenster. Denn plötzlich fiel mir die zerbrochene, nur mit Klebeband geflickte Scheibe wieder ein, durch die der Wind dringen und die Vorhänge zerzausen konnte. Ich hatte mich geirrt. Trotzdem wagte ich nicht, mich zu rühren. Als würde ich auf die Weise bewirken können, dass der Raum plötzlich, von einem Moment auf den anderen, eben doch nicht mehr leer war.
    »Ruby?«
    Nate, in einem leisen, zögerlichen Ton. In mir zog sich alles zusammen. Wie ultramegadämlich bescheuert! Ich hatte wirklich für einen Moment geglaubt, dass meine Mutter zurückgekehrt war. Obwohl ich verdammt genau wusste, dass sie alles, was sie brauchte, mitgenommen hatte. »Bin gleich fertig«, sagte ich. Meine Stimme zitterte. Ich hasste es, diese Schwäche . . .
    »Bist du . . .?« Er hielt inne. »Alles in Ordnung?«
    Ich nickte so beiläufig und sachlich wie möglich. »Klar. Muss nur schnell ein paar Sachen zusammensammeln.«
    Ich hörte, dass er sich bewegte, einen Schritt machte   – ohne zu wissen, ob auf mich zu oder von mir weg, aber es genügte, um mich in Aktion zu bringen: Ich wandte mich zu ihm um. Er stand im Durchgang zur Küche, die Haustür hinter ihm war offen. Langsam drehte er den Kopf von einerSeite zur anderen, registrierte alles ganz genau. Plötzlich schämte ich mich zutiefst. Wie hatte ich nur auf die idiotische Idee verfallen können, ihn mit herzuschleifen? Ausgerechnet ich, die es wirklich hätte besser wissen müssen. Aber nein, ich brachte einen Wildfremden schnurstracks an den Ort, wo ich am verletzlichsten war. Und zu allem Überfluss würde er jederzeit wieder dorthin zurückkehren können. Schließlich kannte er jetzt den Weg.
    Nate betrachtete die Flaschen auf dem Wohnzimmertisch. Zwischen uns erstreckte sich eine einzelne, aber ziemlich lange Spinnwebe. »Hier

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