About Ruby
sieht es aus wie –«
Ich schnitt ihm das Wort ab: »Wartest du draußen im Auto? Okay?« War so durcheinander, so aufgewühlt, dass ich einen extrem scharfen Ton anschlug. Durch die offen stehende Haustür drang ein heftiger Windstoß, der einige Blätter vor sich hertrieb. Sie wirbelten über den Küchenfußboden.
Er sah mich einen Augenblick lang stumm an. Schließlich erwiderte er: »Ja, klar.« Ging hinaus, schloss die Haustür hinter sich.
Hör auf
, sagte ich zu mir selbst. Fühlte die Tränen, die mir in die Augen stiegen. Das Allerletzte, echt. Während ich mich umsah, versuchte ich, einen klaren Kopf zu bekommen und mich darauf zu konzentrieren, was ich mitnehmen sollte. Doch alles verschwamm vor meinen Augen. Ich spürte, wie ein Schluchzer durch meine Kehle nach oben stieg. Meine Schultern bebten; ich bedeckte den Mund mit einer Hand und zwang meine Füße, sich zu bewegen.
Denk nach, denk nach
, sagte ich mir innerlich immer wieder vor. Kehrte in die Küche zurück, begann, Sachen von der Wäscheleine zu nehmen. Alles war steif und roch nach Feuchtigkeit, und je mehr Klamotten ich einsammelte, umsomehr konnte ich vom Rest der Küche erkennen: die Pfannen und Töpfe, die sich im Spülbecken stapelten, die Eimer, in denen ich Wasser aus dem Bad geholt hatte, die Wäscheleine, welche schlaff über meinem Kopf hing.
Ich bin allein sehr gut zurechtgekommen
, hatte ich zu Cora gesagt. Und in dem Moment tatsächlich geglaubt, was ich da erzählte. Aber als ich jetzt so dastand, meine steifen, müffelnden Klamotten über dem Arm, den Gestank nach verfaultem, verschimmeltem Essen in der Nase, war ich davon auf einmal nicht mehr so überzeugt.
Ich hob die Hand, wischte mir über die Augen. Blickte durchs Fenster hinaus zu Nate, der – Handy am Ohr – am Steuer seines Wagens saß. Keine Ahnung, was er von alledem hielt. Ich betrachtete die Klamotten über meinem Arm und wusste genau, dass ich sie nicht mitnehmen konnte, obwohl sie außer den paar Sachen im Nebenzimmer und dem verbeulten, kaputten Subaru alles waren, was ich auf der Welt besaß. Ich legte sie auf den Tisch. Sagte mir, dass ich zurückkommen und sie sowie alles andere abholen würde, sobald ich mich ein wenig eingerichtet hatte. Halbwegs angekommen war. Ein leicht gegebenes Versprechen. So leicht, dass ich mir auf einmal vorstellen konnte, wie eine gewisse andere Person sich selbst etwas Ähnliches eingeredet hatte, als sie durch jene Tür hinausgegangen war. Und es sogar geglaubt hatte. Zumindest beinahe.
***
Ich kann nicht sagen, dass ich mich auf die Heimfahrt freute. Schließlich hatte ich keine Ahnung, was Nate zu mir sagen würde oder wie ich den Fragen ausweichen sollte, die er mir unweigerlich stellen würde. Als ich die Haustür von außen abschloss, entschied ich mich daher für eine Strategie,die mir nur allzu vertraut war: verdrängen und leugnen. Standhaft alles von vorn bis hinten leugnen. Ich würde so tun, als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen, als wäre unser kleiner Ausflug exakt so verlaufen wie vorhergesehen. Ich musste bloß überzeugend genug wirken, dann würde er gar keine andere Wahl haben, als das Ganze genauso zu sehen, wie ich es wollte.
Schon auf dem Weg zum Auto verfiel ich in die Rolle, die ich mir zu spielen vorgenommen hatte, indem ich so lässig wie möglich auf ihn zulief. Doch nachdem ich eingestiegen war, merkte ich, dass diese Vorsichtsmaßnahme überflüssig gewesen war. Er telefonierte immer noch und würdigte mich nicht einmal eines Blickes, während er den Rückwärtsgang einlegte und losfuhr, weg vom gelben Haus.
Ich nutzte den Moment, da er auf diese Weise abgelenkt war, um noch einmal zum Schlafzimmerfenster meiner Mutter hinüberzuschauen. So viel zum Thema Verdrängen: Selbst aus dieser Distanz und einem fahrenden Auto heraus konnte ich nun deutlich erkennen, dass sich in dem Zimmer kein Mensch aufhielt. Leere hat einfach so etwas an sich, etwas Offensichtliches. Selbst wenn man versucht, sich was anderes einzureden.
»Kein Problem«, meinte Nate unvermittelt. Ich blickte ihn von der Seite an. Die Augen fest auf die Straße gerichtet, hörte er wem auch immer am anderen Ende der Leitung zu, wobei er die Lippen so fest aufeinanderpresste, dass sie einen schmalen Strich bildeten. »Ich kann in zehn Minuten dort sein. Vielleicht sogar schneller. Ich hole das Zeug bei ihr ab und –«
Offensichtlich wurde er unterbrochen. Und der Jemand, der ihn unterbrach, erhob eindeutig die
Weitere Kostenlose Bücher