About Ruby
Cora wollte ein
Kind
? In den Jahren, in denen wir uns nicht gesehen hatten, hatten sich ganz offensichtlich nicht nur ihr Familienstand und ihr beruflicher Status geändert, sondern noch einiges mehr.
Noch immer konnte ich ihre Stimmen hören, und zwar immer lauter, denn nun näherten sie sich der Schlafzimmertür. Sie würden jeden Augenblick auf den Flur treten und mich bemerken, deshalb flitzte ich blitzschnell zur Treppe zurück und tat so, als käme ich sie gerade erst hoch. Wobei ich vor lauter Eifer fast mit der Blonden zusammenstieß.
»Ups!« Sie zuckte zusammen, legte sich die Hand auf die Brust. »Hast du mich erschreckt . . . Ich habe dich gar nicht gesehen.«
Ich blickte an den beiden vorbei zu Cora, die mich mit einem wachsamen Ausdruck in den Augen musterte; als würde sie sich fragen, ob und was ich eventuell gehört hatte. Aus der Nähe konnte ich erkennen, dass sie geweint hatte, obwohl sie sich gerade in dem offenkundigen Versuch, das zu übertünchen, frisch geschminkt hatte. »Das ist Ruby«, meinte sie nun. »Meine Schwester. Ruby, das sind Denise und Charlotte.«
»Hi«, sagte ich. Die beiden betrachteten mich aufmerksam. Ich fragte mich sofort, was Cora ihnen wohl von uns erzählt hatte, welchen Teil der Geschichte sie kannten.
»Schön, dich kennenzulernen!« Denise strahlte mich an. »Ihr seht euch wirklich ganz schön ähnlich.«
Charlotte verdrehte leicht die Augen. »Nimm es Denise nicht übel«, meinte sie zu mir. »Sie denkt immer, sie müsste unbedingt irgendetwas sagen, auch wenn es total unpassend ist.«
»Inwiefern war das unpassend?«, fragte Denise.
»Vielleicht, weil sie sich
überhaupt nicht
ähnlich sehen?«, konterte Charlotte.
Denise schaute mich noch einmal genau an. »Vielleicht nicht in puncto Haarfarbe«, erwiderte sie. »Oder Hautton. Aber im Gesicht, vor allem um die Augen . . . Siehst du das etwa nicht?«
»Nein.« Charlotte trank noch einen Schluck Wein. Und sagte anschließend: »Womit ich natürlich niemandem auf den Schlips treten möchte.«
»Hast du nicht«, meinte Cora und lotste die beiden langsam Richtung Treppe. »Und jetzt geht endlich was essen. Jamie hat genug zum Grillen besorgt, um eine ganze Armee zu versorgen. Außerdem wird allmählich alles kalt.«
»Kommst du denn nicht?«, fragte Charlotte. Denise ging bereits mit wippendem Pferdeschwanz die Treppe hinunter.
»Doch, gleich.«
Cora und ich sahen den beiden nach. Sie zankten sich schon wieder wegen etwas Neuem. Doch schließlich hatten sie es die Treppe hinuntergeschafft und verschwanden in der Küche. »Meine beiden Mitbewohnerinnen im College«, erklärte Cora mir. »Am Anfang, die ganze erste Woche lang, dachte ich, sie könnten einander nicht ausstehen. Bis sich herausstellte, das Gegenteil ist der Fall. Sie waren schon im Kindergarten beste Freundinnen.«
»Was du nicht sagst.« Ich spähte Richtung Küche. Deniseund Charlotte zwängten sich durchs Gewühl und sagten allen möglichen Leuten Hallo.
»Du kennst doch den Spruch. Gegensätze ziehen sich an.«
Ich nickte. Einen Moment lang beobachteten wir beide stumm das Geschehen auf der Party. Inzwischen hatte ich auch Jamie entdeckt, draußen, im Garten. Er stand neben etwas Dunklem. Musste der Teich sein.
»Wie war’s beim Shoppen?«, fragte Cora unvermittelt.
»Okay«, antwortete ich. Und weil sie eindeutig weitere Informationen erwartete, fügte ich schließlich hinzu: »Hab ein paar gute Teile ergattert. Und einen Job.«
»Einen Job?«
Ich nickte. »In einer Schmuckboutique.«
»Ich weiß nicht, Ruby . . .« Sie verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich ans Geländer. »Meiner Meinung nach solltest du dich vorläufig nur auf die Schule konzentrieren.«
»Es sind höchstens fünfzehn Stunden pro Woche«, entgegnete ich. »Außerdem bin ich es gewöhnt, neben der Schule zu arbeiten.«
»Das glaube ich dir«, sagte sie. »Aber ich fürchte, du machst dir keinen Begriff davon, was für eine Herausforderung Perkins Day in puncto Noten, Niveau und Erwartungen ist. Ich habe die Unterlagen über deine bisherigen schulischen Leistungen gesehen. Wenn du aufs College möchtest, musst du Prioritäten setzen. Und deine Priorität im Moment sollten deine Zensuren und Zulassungstests sein.«
College
?, dachte ich. Und sagte: »Ich schaffe beides gleichzeitig.«
»Musst du aber nicht, das meine ich ja gerade.« Sie schüttelte den Kopf. »Als ich auf der Highschool war, habe ichdreißig Stunden pro Woche gejobbt. Aber ich
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