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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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andere. Verdammt schwer.
    ***
    Ich hatte die Beifahrertür gerade geschlossen und den Sicherheitsgurt angelegt, da brach es auch schon über mich herein.
    »Was ist denn mit dir los? Du siehst ja scheiße aus.«
    Ich beachtete Gervais gar nicht, blickte stur geradeaus. Spürte dennoch, dass Nate mich ansah, und zwar besorgt. Deshalb sagte ich: »Passt schon. Lasst uns einfach fahren.« Trotzdem dauerte es noch einen Moment, ehe er Gas gab und sich in den Verkehr einordnete.
    Ein paar Straßen lang versuchte ich nur zu atmen.
Es ist nicht wahr
– der einzige, halbwegs klare Gedanke in meinem Kopf. Gleichzeitig jedoch überfluteten mich die Erinnerungen: die ständigen Umzüge, dauernd neue Schulen, die getürkten Unterlagen, Adressen, Telefonnummern, angeblich wegen der bösen Vermieter oder Leuten, denen wir Geld schuldeten. Die Telefone, die nie angemeldet wurden, die Einladung zu Coras Abschlussfeier, nachdem sie mit dem College fertig war, von der meine Mutter behauptet hatte, sie sei lediglich automatisch versandt wor den.
Jetzt gibt es nur noch uns beide, mein Schatz, nur dich und mich.
    Ich schluckte. Hielt meine Augen fest auf den Bus vor uns gerichtet, dessen Heck komplett mit einer Anzeige über ein FEST DER SALATE beklebt war. Ich konzentrierte mich ausschließlich auf diese drei Worte, blendete alles andere aus meinem Blickfeld aus, selbst als hinter uns ein ohrenbetäubender Rülpser ertönte.
    »Gervais!« Nate ließ sein Fenster runterfahren. Während es hinunterglitt, fuhr er fort: »Worüber haben wir uns gerade eine geschlagene halbe Stunde lang mit deiner Mutter unterhalten?«
    »Keine Ahnung.« Gervais gluckste vor Vergnügen.
    »Dann möchte ich dein Gedächtnis etwas auffrischen«, sagte Nate. »Schluss mit dem Pupsen und Rülpsen und all den anderen Unverschämtheiten. Oder . . .«
    »Oder was?«
    Wir hielten an einer roten Ampel. Nate drehte sich um, schob seinen Oberkörper in die Lücke zwischen unseren beiden Sitzen. Plötzlich war er mir so nah, dass ich gar nicht anders konnte, als den Geruch seines
USWIM
-Sweatshirts einzuatmen, obwohl ich wie weggetreten war. Das Sweatshirt roch nach Wasser, Chlor, Waschpulver. Sauberkeit.
    »Oder du fährst wieder mit den McClellans«, antwortete er. Seine Stimme klang gar nicht wie sonst, sondern streng, ernst. Überhaupt nicht nach Nate.
    »Niemals!«, erwiderte Gervais. »Die McClellans sind
Erstklässler
. Außerdem müsste ich dann von der anderen Schule noch rüberlaufen.«
    Nate zuckte die Schultern. »Dann stehst du eben früher auf.«
    »Ich stehe
nicht
früher auf!«, quakte Gervais. »Es ist sowieso schon viel zu früh!«
    »Dann hör endlich auf zu nerven«, antwortete Nate und drehte sich wieder nach vorn, da die Ampel umsprang.
    Eine Sekunde später fühlte ich erneut seinen Blick auf mir ruhen. Mir war klar, dass er jetzt vermutlich ein Dankeschön von mir erwartete, weil er sich heute Morgen mit Mrs Miller über Gervais unterhalten hatte. Und zwar, weil ich mich wiederum eindeutig negativ zu dem Thema geäußert hatte. Weil er versucht hatte, die Situation zum Positiven zu verändern. Aber ich war es auf einmal so leid, jedermanns Sozialfall zu sein. Ich hatte nie irgendwen darum gebeten, mir zu helfen. Wenn jemand das unbedingt trotzdem tun musste, war das ihr oder sein Problem, nicht meins.
    Als wir fünf Minuten später auf dem Parkplatz anhielten, überholte ich Gervais beim Aussteigen, zum allerersten Mal.Ich öffnete die Beifahrertür, bevor Nate richtig angehalten hatte, und war schon an einer halben Reihe Autos, die neben uns parkten, vorbei, als Nate mir nachbrüllte: »Ruby, warte!«
    Doch ich wartete nicht. Diesmal nicht. Ich lief einfach weiter, immer schneller. Als ich den Rand des Schulhofs erreichte, hatte es noch nicht einmal zur ersten Stunde geklingelt. Überall waren Leute, drängelten und schubsten von allen Seiten. Plötzlich fiel mir die Tür zur Toilette in die Augen. Ich steuerte schnurstracks darauf zu.
    An den Waschbecken standen jede Menge Mädchen, die ihr Make-up überprüften oder telefonierten, doch die Kabinen waren leer. Ich lief an ihnen entlang, betrat die hinterste an der Wand, verriegelte die Tür. Lehnte mich dagegen, schloss die Augen.
    All die Jahre über hatte ich geglaubt, dass Cora verschollen war. Hatte sie gehasst, weil sie mich verlassen hatte. Und wenn ich mich tatsächlich geirrt hatte? Wenn meine Mutter es tatsächlich irgendwie geschafft hatte, den einzigen anderen Menschen, den ich auf

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