About Ruby
dieser Welt hatte, von mir fernzuhalten? Und falls es stimmte – warum?
Sie hat DICH verlassen
, hatte Cora gesagt. Es waren genau diese paar Worte, die ich – in jenem Augenblick und auch jetzt, in meinem Kopf – am deutlichsten hörte. Sie drangen durch das tosende Rauschen in meinem Kopf, als würde sie jemand unmittelbar in mein Ohr hineintrompeten. Ich wollte nicht, dass Cora recht hatte. Wollte nicht, dass diese Worte irgendeinen Sinn ergaben. Doch nicht einmal ich konnte leugnen, dass sie nicht einer gewissen Logik entbehrten. Meine Mutter war sowohl von ihrem Ehemann als auch von ihrer älteren Tochter sitzen gelassen worden. Sie hatte die Nase voll davon und deshalb getan, was nötig war,um ein drittes Mal zu verhindern. Was ich sogar verstehen konnte. Denn genau dafür würde auch ich immer sorgen: nicht sitzen gelassen werden. Sondern als Erste gehen.
Es klingelte. Der Raum leerte sich allmählich. Immer wieder flog krachend die Tür auf und zu, weil meine lieben Mitschülerinnen hinausgingen. Schließlich wurde es ganz still. Auch auf den Gängen. Das einzige Geräusch, das ich durch die schmalen, halb geöffneten Fenster oben in der gegenüberliegenden Wand noch hörte, war das Flattern der Fahne auf dem Schulhof.
Als ich sicher war, allein in der Toilette zu sein, verließ ich die Kabine, trat an eins der Waschbecken, ließ meinen Rucksack zu meinen Füßen auf den Boden gleiten. Als ich mich im Spiegel erblickte, wurde mir klar, dass Gervais recht gehabt hatte: Ich sah absolut grauenvoll aus, hatte lauter rote Flecken in meinem verquollenen Gesicht. Ich schaute mir selbst dabei zu, wie meine Finger an meinem Hals entlang nach unten glitten, nach dem Schlüssel an der Kette griffen, sich fest darum schlossen.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich mir erst diesen Wisch holen musste, bevor ich das Schulgelände verlassen darf«, hörte ich plötzlich eine Stimme direkt vor der Toilettentür. »Weil es hier wie im Knast zugeht, kapierst du? Okay, reg dich nicht auf, bleib, wo du bist. Ich komme, so schnell ich kann.«
Ich sauste zur Tür, öffnete sie. Olivia war gerade vorbeigekommen, Handy am Ohr, und lief nun den überdachten Weg zum Parkplatz entlang. Als ich sah, wie sie ihren Schlüsselbund aus ihrem Rucksack fischte, schnappte ich mir meine Tasche und düste hinter ihr her.
Bei einer Reihe Spinde holte ich sie ein. Sie klappte gerade ihr Handy zusammen, verstaute es in der hinterenJeanstasche. »Hey«, rief ich. Meine Stimme hallte laut zwischen den Wänden wider; außer uns beiden war niemand in Sicht. »Wo willst du hin?«
Sie drehte sich um, sah mich an. Wirkte höchst wachsam, um nicht zu sagen misstrauisch. Was ich ihr nicht verdenken konnte, schließlich war ich total außer Atem, hatte immer noch rote Flecken im Gesicht und sah garantiert total durch den Wind aus. »Ich muss meine Cousine abholen. Wieso?«
Ich trat näher, atmete tief durch. »Kannst du mich mitnehmen?«
»Wohin?«
»Irgendwohin.«
Sie zog fragend die Augenbrauen hoch. »Ich fahre erst zur Jackson, dann direkt nach Hause und sonst nirgendwohin. Spätestens zur dritten Stunde muss ich wieder hier sein.«
»Super«, sagte ich. »Perfekt.«
»Hast du eine Ausgangserlaubnis?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Und trotzdem soll ich dich mit vom Schulgelände nehmen? Obwohl es gegen die Regeln verstößt und ich jede Menge Ärger riskiere?«
»Ja.«
Sie verneinte vehement.
»Aber wir wären quitt«, sagte ich. »Du wärst mir nichts mehr schuldig.«
»Das ist viel mehr, als was ich dir schulde«, antwortete sie. Musterte mich forschend. Ich wich ihrem Blick nicht aus. Wartete auf das Urteil. Sie hatte recht: So eine Aktion war ziemlich idiotisch. Aber ich war’s leid, immer die Clevere zu mimen. War einfach alles leid.
»In Ordnung«, meinte sie schließlich. »Aber du kannst nicht auf dem Schulparkplatz einsteigen. Du musst selber sehen, wie du irgendwie zur Tanke kommst. Da hole ich dich ab.«
»Kein Problem.« Ich schulterte meine Tasche. »Bis gleich.«
Kapitel acht
Als ich zehn Minuten später in Olivias Auto einstieg und mich auf den Beifahrersitz setzte, stieß ich mit dem Fuß gegen etwas, das dadurch augenblicklich platt gedrückt wurde. Ich senkte leicht schuldbewusst den Blick. Es handelte sich um einen leeren Popcornbecher, wie man sie im Kino bekommt. Und der Becher war nicht allein. Mindestens vier weitere kullerten auf dem Boden des Wagens hin und her.
»Ich arbeite im
Vista
«, meinte
Weitere Kostenlose Bücher