Abraham Lincoln - Vampirjäger
Muskeln, wo Hals und Schulter sich treffen. Das brachte ihn dazu, die Waffe sinken zu lassen, bevor er abdrücken konnte. Ich zog meine Klinge zurück und wollte schon erneut zustoßen, doch bevor ich dazu kam, kippte die Welt um mich herum zur Seite.
Der junge Schauspieler hatte Abe die Füße weggetreten, so dass er seitlich zu Boden stürzte und ihm das Messer in hohem Bogen aus der Hand flog. Abe sah an sich hinunter – in Richtung des seltsamen, pulsierenden Schmerzes, der von seinem linken Bein ausging. Es war vom Knie abwärts völlig verdreht, so dass es weder nach vorne noch nach hinten abgeknickt, sondern grotesk zur Seite verdreht war.
Sofort wurde mir furchtbar übel. Als er mich in diesem Zustand sah, wich Lamon von der Seite seiner Frau und eilte mir zu Hilfe. Er stellte sich dem Teufel entgegen und wollte seinen Revolver auf ihn richten, doch bevor er richtig zielen konnte, rammte ihm der Schauspieler die Faust mit solcher Wucht ins Gesicht, dass es ihm die Zähne einschlug und den Kiefer ausrenkte.
Ein gottverdammter Vampir …
Mary konnte die Szene nicht länger ertragen und ging neben ihrem Stuhl ohnmächtig zu Boden. Lamon torkelte rückwärts, suchte Halt an der Brüstung – hielt sich das Kinn und versuchte instinktiv, den Kiefer zurück an seinen Platz zu schieben. Da wurde der Vampir seiner Waffe wieder habhaft, zielte auf Lamons Kopf und drückte ab. Gehirnfetzen spritzten über die Brüstung und prasselten auf die leeren Sitzreihen hernieder. Lamon war dahin. Dann richtete der Vampir die Pistole erneut auf Mary und schoss ihr trotz meiner Protestschreie in die ohnmächtige Brust. Sie würde nie wieder erwachen.
Als Nächstes wandte er sich mir zu, beugte sich über mich, der ich hilflos am Boden lag. Der Lauf seines Revolvers zielte auf meinen Kopf. Unsere Blicke trafen sich.
Es waren Henr y s Augen.
»Sic semper tyrann…«
Das letzte Wort wurde vom Geräusch des Schusses übertönt.
Abe schreckte aus dem Schlaf hoch.
Er saß aufrecht im Bett und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, genau wie in jener Nacht vor so vielen Jahren, als er seinen Vater mit dem Teufel paktieren sah. In der Nacht, als Jack Barts seine Mutter zum Tode verurteilte.
Mary schlief friedlich neben mir. Meine Söhne lagen wohlbehalten in ihren Betten. Eine gründliche Überprüfung des Hauses ergab keinerlei Hinweise auf Eindringlinge – egal ob lebend oder untot. Trotzdem fand ich in jener Februarnacht keinen Schlaf mehr. Irgendetwas an dem Traum kam mir seltsam bekannt vor. So real. Ich sah jedes Detail des Theaters vor mir; jedes Detail der Kostüme und des Bühnenbildes. Ich konnte den Übelkeit erregenden Schmerz in meinem Bein spüren und Angelinas Blut auf den Boden tropfen hören. Aber sosehr ich mich auch bemühte, diese verdammten drei Worte, die der Mörder gemurmelt hatte, kurz bevor ich erwachte, wollten mir einfach nicht mehr in den Sinn kommen. 43
43 Angelina Lamon starb tatsächlich zwei Monate nach Abes Traum. Die Todesursache blieb ein Rätsel, doch es ist fraglich, ob Vampire ihre Finger im Spiel hatten.
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Kurz nach Abes Traum traf William Seward, der 1860 noch immer als der große Favorit für den Kandidaten der Republikaner bei den Präsidentschaftswahlen galt, eine eigenartige Entscheidung.
Seward ist ganz plötzlich zu einer Reise nach Europa aufgebrochen und wird mindestens sechs Monate lang fort sein. Was hat das bloß zu bedeuten, am Vorabend einer so entscheidenden Wahl? Welchen Vorteil kann ihm eine solche Abwesenheit bloß bringen? Viele haben [die Reise] als einen Beweis seiner Überheblichkeit, seiner Unnahbarkeit angeprangert. Ich jedoch zögere, ein solches Urteil zu fällen – denn ich vermute, er wurde auf Anweisung der Union fortgeschickt.
Abes Verdacht wurde in Henrys nächstem Brief bestätigt.
Abraham,
unser Freund S. wurde geschickt, einen Auftrag zu erledigen – einen, von dem wir hoffen, dass er unserer Sache in den kommenden Monaten und Jahren zu mehr Unterstützung verhilft. Wir bitten Dich nun, Dich mit vollem Einsatz dem größten politischen Wettstreit zu widmen.
H.
Während Sewards Abwesenheit arbeiteten Abes Verbündete daran, die Unterstützung für die Präsidentschaftswahlen zu verstärken, während Abe sich bemühte, seine landesweite Bekanntheit zu erhöhen. Am Abend des 27. Februar 1860 hielt er am New Yorker Cooper Institute vor tausend Zuhörern eine Rede, die viele Historiker als die bedeutendste politische Rede aller Zeiten
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