Abraham Lincoln - Vampirjäger
Präsidentschaftskandidat Lincoln hatte Tage damit verbracht, heimlich neue Pfähle für seinen Köcher zu schnitzen und einen neuen Brustpanzer anzufertigen, den er unter seinem Mantel tragen wollte. Er hatte sich mit seiner Axt in die Wälder zurückgezogen und sich darin geübt, sie auf Baumstämme zu schleudern, die erst zehn und dann zwanzig Yards entfernt waren. Er hatte sogar sein altes Märtyrer-Rezept wieder herausgekramt und einen Schwung vorbereitet.
Ich bestand darauf, dass die Dreifaltigen in Springfield blieben, um auf meine Familie aufzupassen. Es handle sich um eine einfache Erledigung, sagte ich ihnen. Schließlich war unsere Zielperson bloß ein Mensch – einer, der durch eine Operation gebrechlich und halb blind war. Speed, Lamon und ich waren mehr als fähig, Davis und seine vampirischen Wächter zu bezwingen.
Die Jäger banden ihre Pferde am Montag, den 30. Juli, kurz nach ein Uhr nachts am Rande von Davis’ Anwesen an. Sie hielten Abstand vom Haupthaus und legten sich im angrenzenden Wald eine wachsame Stunde lang auf die Lauer. Gelegentlich flüsterten sie miteinander und warteten geduldig im matten Licht des wolkenverhangenen Mondes.
Abe hatte einen weiteren Brief von Henry erhalten, bevor sie Springfield verlassen hatten, einen Brief, der neue Informationen enthielt. Die Spione der Union hatten herausgefunden, dass sich Davis’ Krankenbett in einem Zimmer auf der Westseite des zweiten Stocks befand. Mit der Absicht, ihm während seiner Genesung Ruhe zu gönnen, war seine Frau Varina dazu übergegangen, zusammen mit ihren beiden Söhnen im Säuglingsalter und der fünfjährigen Tochter in einem angrenzenden Zimmer zu schlafen. Nachts wechselten sich Davis’ Aufpasser darin ab, Kontrollgänge über das Grundstück zu machen, während der andere im Haus blieb.
Deshalb kam es mir seltsam vor, dass es keinerlei Anzeichen für eine solche Patrouille gab. Henrys Instruktionen waren jedoch unmissverständlich, und wir waren zudem von weither angereist. Wir konnten keinen Gedanken daran verschwenden, jetzt unverrichteter Dinge kehrtzumachen. Überzeugt davon, dass wir lange genug gewartet hatten, griffen wir zu unseren Waffen und krochen zu der Lichtung, auf der sich das zweigeschossige Haus befand. Es war weiß (oder gelb, das konnte ich in der Dunkelheit nicht genau sagen), die Veranda und das Erdgeschoss lagen etwas erhöht, denn in dieser Gegend kam es häufig zu Überschwemmungen, wenn der Mississippi über die Ufer trat. Ich rechnete fest damit, dass uns am Eingang ein Vampir erwarten würde, der schon lange von unserer Anwesenheit wusste, alarmiert durch das entfernte Wiehern unserer Pferde oder den Geruch der Märtyrer in meinem Mantel. Aber nichts dergleichen. Bloß Stille. Zweifel machten sich in mir breit, als wir die Stufen zur Veranda hinaufstiegen. Hatte ich noch immer die Kraft, einen Vampir zu schlagen? Hatte ich Lamon gut genug darauf vorbereitet, einem so schnellen und starken Gegner entgegenzutreten? War Speed der uns bevorstehenden Aufgabe noch gewachsen? Tatsächlich fühlte sich die Axt in meinen Händen schwerer an als früher.
Abe stieß langsam die Haustür auf, während Lamon mit der Waffe darauf zielte, bereit, den Vampir zu erschießen, der unweigerlich aus dem Dunkeln hervorspringen musste, sobald sie offen stand.
Doch da war keiner.
Wir traten ein – ich mit erhobener Axt; Speed durch den Lauf seiner.44 Kaliber [Büchse] spähend; Lamon mit je einem Revolver in jeder Hand. Wir durchforschten die Dunkelheit, das spärlich eingerichtete Erdgeschoss, wobei jeder unserer Schritte durch knarzende Holzbohlen verraten wurde. Wenn Davis oben tatsächlich von einem Vampir bewacht wurde, dann wusste dieser spätestens jetzt, dass wir hier waren. Da wir unten keinerlei Anzeichen für Untote (oder lebende Menschen) fanden, kehrten wir wieder zum Eingangsbereich und zu dem sich dort befindlichen schmalen Treppenhaus zurück.
Abe ging den anderen voraus nach oben. Dort waren Vampire – das spürte er.
Während ich die Treppe hinaufstieg, spielte sich vor meinem inneren Auge ab, was nun folgen würde: Sobald ich oben ankomme, springt einer der Vampire aus seinem Versteck und wirft sich von rechts auf mich. Ich brauche die Klinge meiner Axt lediglich in seine Richtung zu drehen, dann dringt sie bei unserem Zusammenstoß in seine Brust. Doch davon werde ich nach hinten geschleudert – und wir beide stürzen die Treppe hinunter. Während wir noch miteinander ringen,
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