Abraham Lincoln - Vampirjäger
Gelegenheit beim Schopf, ein neues Leben auf der anderen Seite des Atlantiks zu beginnen, und obendrein schleppte er seine renitente Tochter mit sich.
»An jenem Dienstag wurde die See immer unruhiger, während unser Schiff auf eine Sturmfront zutrieb. Als die Nacht hereinbrach, hatten sich alle bis auf ein paar Matrosen unter Deck zurückgezogen, um dem tosenden Wind und Regen zu entkommen. Das Schiff wurde so heftig hin und her geworfen, dass Kapitän White den Befehl gab, alle Kerzen zu löschen, aus Angst, sie könnten vom Wellengang umgestoßen werden und das ganze Schiff in Brand setzen. Edeva und ich kauerten uns in völliger Dunkelheit unter Deck zusammen – wir spürten das schwindelerregende Schaukeln des Schiffs, hörten das Ächzen der Holzbalken und wie unsere Mitreisenden sich übergeben mussten. Ich weiß, dass Elizabeth Barrington noch da war, als wir die Kerzen auslöschten. Ich hatte sie noch mit eigenen Augen gesehen. Aber am Morgen war sie fort.«
Der Sturm war vorüber, und die drückende Sonne stand wieder hoch am Himmel. Da Elizabeth oft für sich unter Deck blieb, wurde ihr Fehlen erst am späten Vormittag bemerkt. Die Passagiere riefen nach ihr, aber es kam keine Antwort. Selbst ein vollständiges Durchsuchen des Schiffs brachte nichts zutage. Auch eine zweite Suche, bei der sogar Mehlsäcke ausgeleert und Fässer mit Schießpulver durchsiebt wurden, blieb ergebnislos. Sie war und blieb verschwunden. Kapitän White machte einen weiteren knappen und nüchternen Eintrag in sein Logbuch: Maegdeleyn bey ungewitter von schiff gespuelt. Tot.
»Insgeheim ahnten wir alle, dass das unglückselige Mädchen sich das Leben genommen hatte, dass sie ins Meer gesprungen und ertrunken war. Man sprach Gebete für ihre Seele (obwohl wir wussten, dass sie in der Hölle schmoren würde, da Selbstmord in den Augen Gottes eine unverzeihliche Sünde ist).«
Die letzten drei Wochen der Überfahrt verliefen ohne weitere Zwischenfälle und bei ruhiger Wetterlage. Trotzdem war der Anblick von Festland schließlich allen mehr als willkommen. Die Siedler machten sich daran, Bäume zu fällen, verlassene Häuschen wieder aufzubauen und Feldfrüchte anzupflanzen, und sie nahmen Kontakt mit den Einheimischen auf – insbesondere mit den Croatoan, die den Engländern schon früher begegnet waren. Aber diesmal währte der Frieden nicht lange. Genau eine Woche, nachdem das erste von John Whites Schiffen auf Roanoke Island gelandet war, fand man einen der Siedler, George Howe, bäuchlings im seichten Gewässer der Bucht von Albemarle Sound liegen. Er war allein fischen gewesen und musste von einer Horde »Wilder« überrascht worden sein. White reimte sich den Angriff anhand der Beweise am Ort des Geschehens zusammen. Auszug aus seinem Logbuch:
Diese wilden, verstekket im hohen schilffgrase, wo sie vilmals dem ruhend wilde auflouwern und es so ohn mueh erleggen, erspaehten unsern manne alleyn im wasser watent, so gut wie nakket und ohn waffen abgesen von ein gegabelt speer, der ijm dienet zum fangen von fisch, und obendreyn zwei meilen abseyts von den seynen, und so zielten sie auf ijn im wasser, wo sie ijm mit jren pffeylen sechzen wunden zufuegten: und wie sie ijn mit jren hoeltzern schwertern getoetet, schluggen sie seyn antlitz in stuecke und flohn uebers wasser.
White kam zu dem Schluss, dass Howe mit sechzehn »pffeylen« getötet worden war, weil sein Körper sechzehn kleine Einstiche aufwies.
»In Wahrheit fand man keinen einzigen Pfeil in oder um George Howes Leiche. Gouverneur White überging in seinen Aufzeichnungen noch ein weiteres wichtiges Detail – nämlich, dass der Tote, als er aufgefunden wurde, bereits zu verwesen begonnen hatte, obwohl er erst ein paar Stunden zuvor gestorben war.«
Am 18. August vergaß die Kolonie die Croatoan für eine Weile und freute sich über die Geburt des ersten Kindes, Virginia Dare – John Whites Enkelin. Sie war das erste englische Baby, das in der Neuen Welt geboren wurde, und hatte wie die Mutter einen feuerroten Haarschopf. Die Geburt wurde vom einzigen Arzt der Kolonie, Thomas Crowley, begleitet.
»Crowley war ein fülliger sechsundfünfzigjähriger Mann mit Halbglatze. Er war groß gewachsen, hatte ein freundliches, pockennarbiges Gesicht und war bekannt für seinen Sinn für Humor. Sowohl dafür wie auch für seine Fähigkeiten als Arzt wurde er von allen hoch geschätzt. Es gab wenig, was ihm mehr Freude bereitete, als einen Patienten seine Sorgen vergessen zu
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