Abraham Lincoln - Vampirjäger
Hand.
monolog eines selbstmörders 22
22 Am 25. August 1838, am dritten Jahrestag von Anns Tod, erschien dieses Gedicht auf der Titelseite des Sangamon Journal . Der Autor zog es vor, anonym zu bleiben.
Ja! Zur Untat will ich schreiten;
Dies ist die Zeit zum Abschiedsgruß.
Durch dieses Herz die Kling’ soll gleiten,
auch wenn ich dafür brennen muss!
Süßer Stahl, komm aus der Scheide!
Um mit Macht mich zu versöhnen,
reiß mir den Odem vom Geweide
und vergieß mein Blut in Strömen!
Stoß zu! Auf dass mein Herz erbebe,
das mir beschert hat solche Pein.
Den blut’gen Dolch zum Kuss ich hebe,
mein letzter, ach, mein Freund allein!
Am nächsten Morgen galoppierte Henry Sturges nach New Salem hinein.
Er behauptete, ein mir »nahestehender Cousin« zu sein, und schickte die anderen sogleich fort. Als wir allein waren, unterbreitete ich ihm die ganze Geschichte von Anns Ermordung, ohne mich auch nur zu bemühen, meinen Kummer zu verbergen. Henry schloss mich in seine Arme, und ich weinte. Ich erinnere mich noch so klar daran, weil ich doppelt überrascht war – einmal darüber, dass ein Vampir über eine solche Herzenswärme verfügte, und zum anderen darüber, wie kalt sich seine Haut anfühlte.
»Glücklich ist der Mann, der in seinem Leben nie den Verlust eines derart geliebten Menschen verschmerzen muss«, sagte Henry. »Aber wir sind keine glücklichen Männer.«
»Hast du auch jemanden verloren, der so schön war wie sie? So lieblich?«
»Mein lieber Abraham … man könnte einen ganzen Friedhof füllen mit den Frauen, um die ich weinte.«
»Ohne sie möchte ich nicht leben, Henry.«
»Ich weiß.«
»Sie ist so schön … so liebreizend … «
»Ich weiß … «
Abe konnte seine Tränen nicht länger zurückhalten.
»Je kostbarer Gottes Geschenk«, sagte Henry, »desto eher drängt er auf dessen Rückgabe.«
»Ich kann nicht sein ohne sie … «
Henry saß neben Abe am Bett und hielt ihn im Arm … wiegte ihn wie ein Kind … und war im Widerstreit mit sich selbst.
»Es gibt noch einen anderen Weg«, sagte er schließlich.
Abe richtete sich auf und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen weg.
»Die Älteren von uns, wir … wir können die Toten erwecken, für den Fall, dass der Zustand des Körpers noch gut genug ist und er weniger als ein paar Wochen tot ist.«
Abe brauchte einen Moment, um zu begreifen, was Henry ihm damit sagen wollte.
»Schwöre mir, dass du die Wahrheit sagst … «
»Sie würde leben, Abraham … Aber ich warne dich – sie wäre dazu verdammt, für immer zu leben.«
Hier also war die Antwort auf meinen Kummer! Ein Weg, meine Liebste wieder lächeln zu sehen – ihre zarte Hand aufs Neue in meiner zu halten! Wir würden im Schatten unseres Lieblingsbaums sitzen, für immer Shakespeare und Byron lesen, und ihre Finger würden zärtlich mit meinem Haar spielen, während mein Haupt auf ihren Schoß gebettet läge. Wir würden uns die Jahre mit Spaziergängen am Sangamon vertreiben! Dieser Gedanke bedeutete Trost. Glückseligkeit …
Aber er war flüchtig. Denn als ich mir ihre bleiche Haut vorstellte, ihre schwarzen Augen und ihre langen Fänge, da spürte ich plötzlich nichts mehr von der Liebe, die uns einmal verband. Wir wären vereint, ja – aber es wäre eine eisige Hand, die mir übers Haar striche. Nicht im Schatten unseres Lieblingsbaumes, sondern in der Düsternis unseres mit Vorhängen verdunkelten Hauses. Wir würden uns die Jahre mit Spaziergängen am Sangamon vertreiben – aber nur ich würde altern.
Die Versuchung brachte mich beinahe um den Verstand, doch ich konnte es nicht tun. Ich konnte nicht jener Dunkelheit nachgeben, die sie mir entrissen hatte. Dem Bösen, das auch meine Mutter von mir genommen hatte.
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Ann Rutledge fand am 30. August, einem Sonntag, ihre letzte Ruhestätte auf dem Old-Concord-Friedhof. Abe stand regungslos am Grab, als ihr Sarg in die Erde gelassen wurde. Er hatte darauf bestanden, den Sarg eigenhändig anzufertigen. Auf seinem Deckel war folgende Inschrift zu lesen:
In Einsamkeit sind wir am wenigsten allein.
Henry erwartete mich vor meiner Hütte, als ich vom Begräbnis zurückkehrte. Es war noch nicht Mittag, und er trug einen Sonnenschirm, um seine Haut, und eine dunkle Brille, um seine Augen zu schützen. Er sagte mir, ich solle ihm folgen. Wir wechselten kein Wort, während wir eine halbe Meile durch den Wald bis zu einer kleinen Lichtung gingen. Dort erblickte ich einen kleinen bleichen Mann mit
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