Abraham Lincoln - Vampirjäger
blonden Haaren, der nackt und geknebelt an einen Pfahl gefesselt war. Holzscheite und Späne waren zu seinen Füßen aufgehäuft, und ein großer Krug stand am Boden daneben.
»Abraham«, sagte Henry, »darf ich vorstellen, Mr. John MacNamar.«
Er wand sich bei unserem Anblick – seine Haut war übersät mit Blasen und Furunkeln.
»Er ist noch nicht allzu lange einer von uns«, erklärte Henry, »und reagiert noch ziemlich empfindlich auf Licht.«
Ich spürte, wie man mir eine Kiefernfackel in die Hand drückte … spürte die Hitze in meinem Gesicht, als sie entzündet wurde. Doch ich wandte meine Augen nicht von John MacNamar ab.
»Ich nehme an, auf Feuer wird er noch empfindlicher reagieren«, meinte Henry.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich konnte den Gefesselten lediglich anstarren, als ich näher an ihn herantrat. Er zitterte, versuchte sich loszureißen. Ich konnte nicht anders, als Mitleid mit ihm zu empfinden. Seine Angst. Seine Hilflosigkeit.
Das ist Wahnsinn.
Dennoch lechzte ich danach, ihn brennen zu sehen. Ich ließ die Fackel auf den Scheiterhaufen fallen. Er kämpfte vergeblich gegen seine Fesseln. Er schrie, bis seine Lungen keinen Ton mehr hergaben. Schon loderten die Flammen hüfthoch, zwangen mich zurückzuweichen, während seine Füße und Beine erst zu kokeln und schließlich zu brennen begannen. Die Hitze des Feuers war so groß, dass sein blondes Haar himmelwärts geweht wurde, als stünde er inmitten eines Sturms. Henry blieb nahe den Flammen stehen – näher, als es mir selbst möglich gewesen wäre. Mit dem Krug schüttete er MacNamar immer wieder Wasser über den Kopf, die Brust und den Rücken, um ihn am Leben zu halten, während seine Beine bis auf die Knochen verbrannten. Verlängerte seine Qual. Ich spürte, wie mir Tränen übers Gesicht liefen.
Ich bin tot.
Dies dauerte zehn, vielleicht fünfzehn Minuten, bis er – auf mein Beharren hin – endlich sterben durfte. Daraufhin löschte Henry das Feuer und wartete, bis der verkohlte Körper abgekühlt war.
Henry legte Abe sanft die Hand auf die Schulter. Abe schüttelte sie ab.
»Warum tötest du deinesgleichen, Henry? Und erweise mir bitte die Ehre und sei ehrlich zu mir, denn das zumindest habe ich verdient.«
»Ich war nie etwas anderes als ehrlich zu dir.«
»Dann sag es mir bitte jetzt ein für alle Mal. Warum tötest du deinesgleichen? Und warum … «
»Und warum schicke ich dich an meiner Stelle vor, ja, ja, ich weiß. Mein Gott, ich habe vergessen, wie jung du noch bist.«
Henry strich sich mit der Hand übers Gesicht. Dies war genau das Gespräch, das er lieber vermieden hätte.
»Warum töte ich meinesgleichen? Ich habe dir meine Antwort bereits gegeben. Es ist eine Sache, wenn man sich vom Blut der Alten, Kranken oder Niederträchtigen ernährt, aber eine ganz andere, schlafende Kinder aus ihren Betten zu rauben oder Männer und Frauen in Ketten in den Tod zu führen, wie du es mit eigenen Augen gesehen hast.«
»Warum dann ich? Warum tötest du sie nicht einfach selbst?«
Henry hielt inne, um seine Gedanken zu sortieren.
»Als ich aus St. Louis hergeritten bin«, sagte er schließlich, »da wusste ich, dass du noch lebst, wenn ich ankomme. Daran glaubte ich, von ganzem Herzen … ich wusste es, denn ich kenne deine Bestimmung.«
Abe hob den Blick, um Henry in die Augen zu sehen.
»Die meisten Menschen haben kein anderes Ziel, als einfach zu existieren, Abraham; als still und leise ihr Leben zu fristen, unbedeutende Nebenfiguren auf der Bühne der Geschichte, die sie noch nicht einmal als solche erkennen. Sie sind nichts als das Spielzeug von Tyrannen. Aber du, du wurdest geboren, um die Tyrannei zu bekämpfen. Das ist deine Bestimmung, Abraham, die Menschheit von der Tyrannei der Vampire zu befreien. Das war schon immer dein Ziel, seit du dem Bauch deiner Mutter entsprungen bist. Das strahlst du durch jede einzelne Pore aus, und mir war es klar von der Nacht an, als ich dich zum ersten Mal sah. Es strahlt aus dir heraus, so hell wie die Sonne. Glaubst du wirklich, es war nur ein bloßer Zufall, dass wir uns begegnet sind? Glaubst du, es war nur eine glückliche Fügung, dass der erste Vampir, den ich seit über hundert Jahren zu töten trachtete, ebender war, der mich zu dir führte? Ich kann die Bestimmung der Menschen erkennen, Abraham. Das ist meine Gabe. Ich kann sie so klar und deutlich sehen, wie du jetzt vor mir stehst. Deine Bestimmung ist es, die Tyrannei zu bekämpfen … und meine
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