Abraxmata
genug nahm. Aber trotzdem hatte Murus mittlerweile ein unglaubliches, fast bedingungsloses Vertrauen zu dem Azillo aus dem Morgentauwald. Manchmal erinnerte Araton ihn mit seinen Ideen und seinem Enthusiasmus an Murus’ besten Freund.
Hevea hielt die Pflanzenkugel fest an sich gedrückt, als sie über der Falle schwebend darauf wartete, dass Araton die Thigmotaxe berührte. Ein mulmiges Gefühl überkam sie, als der Pflanzenteppich zur Seite rutschte. Für einen Moment hielt sie noch inne, um abzuwarten, ob die Santorinen bereits bemerkt hatten, dass jemand dabei war, in ihr Reich einzudringen. Als nichts geschah, ließ sie sich hinabgleiten. Von unten warf sie einen letzten Blick zu den Freunden. Araton lächelte, den Daumen nach oben gestreckt. »Viel Glück, du machst das schon«, glaubte sie an seinen Lippen ablesen zu können. Dann schob sich die Thigmotaxe wieder vor das große Loch und mit ihr der ganze Pflanzenteppich des Waldes. Hevea atmete noch einmal tief durch. Sie wollte, dass ihr Herz endlich aufhörte zu rasen. Das Licht des Jettos brachte einen sehr kleinen, sanften, aber gleichzeitig kontinuierlichen Schein, der Hevea das Fliegen durch die dunklen Gänge leichter machte. Manchmal hörte sie ein Rascheln, ein leises Knacken oder ein Säuseln, dann hielt sie jedes Mal ihre Hände ganz nah an die Kugel, um das gesamte Licht zu verdecken. Sie musste sich allerdings eingestehen, dass die Santorinen sie sehr gut sehen konnten, im Dunkeln genauso wie im Hellen. Deshalb nahm sie die Hände wieder von der Kugel, sodass das Licht des Jettos leuchten konnte. Im Kopf ging sie wieder und wieder ihren Text durch. Wenn alle Vermutungen so stimmten, wie Araton und Murus sie angestellt hatten, dann müsste eigentlich alles funktionieren.
»Flieg bloß nicht zu nahe an Biharun oder einen anderen Santorinen heran, dann kannst du immer noch fliehen. Denk immer daran, du bist schneller als die Santorinen, solange du die Kugel nicht verlierst. Wir stehen immer bereit, auf dein Schreien wird sich der Teppich für dich öffnen. Du brauchst keine Furcht zu haben, du kommst in jedem Fall wieder heil heraus. Konzentriere dich lieber darauf, selbstbewusst aufzutreten.« Murus’ Worte klangen immer wieder in Heveas Ohren.
»Sei selbstbewusst«, flüsterte sie sich selbst zu, als sie bereits die Reflexionen ihres Lichtes durch das rote Koronawurzelholz aus der Halle schimmern sah. Ein leises Gemurmel war auch schon aus dieser Richtung zu hören. Die Santorinen waren tatsächlich im großen Festsaal. Zweifel stiegen in Hevea hoch, umklammerten sie und drohten alles, was sie sich vorgenommen hatte, zu ersticken. Was war, wenn Araton sich getäuscht hatte und niemals ein Gilko des Morgentauwaldes hier unten gewesen ist? Was, wenn die Nachricht, die sie im letzten Sommer von einem Santorinen bekommen hatte, von Askan selbst überbracht worden ist und nicht von einem Gilko? Der Santorine konnte sie sich auch eigenhändig bei Askan abgeholt haben. Klar mussten sie irgendwie in Kontakt getreten sein, aber Araton konnte sich bei dem blauen Huschen, das er gesehen hatte, auch getäuscht haben. Es könnte sein, dass nur immer ein ganz bestimmter Gilko, den die Santorinen kannten, diese besuchte.
Hevea atmete noch einmal ganz tief durch. Zuerst flog sie sehr langsam und zögerlich auf die Santorinen zu. Sie saßen alle an den Tischen, waren in ein fröhliches Gespräch vertieft und brachen sich große Stücke von den Wurzeln ab, die fein säuberlich gewaschen in der Mitte der Tische verteilt waren. Hevea hätte gewettet, dass die Santorinen furchtbar barbarisch aßen, aber das Gegenteil war der Fall. Sie aßen sehr viel gesitteter als die Monolitos des Mondschattenwaldes, die ihr Essen förmlich in sich hineinschaufelten. Hevea spürte, wie der Blick eines dunklen Auges sie streifte. Sie zwang sich, nicht darauf zu reagieren, warf die Schultern zurück und flog in keinem übereilten, aber in zügigem Tempo auf die Santorinen zu. Alle sahen für sie so gleich aus, aber zum Glück saß Biharun an der Stirnseite des längsten Tisches. Es kostete Hevea viel Überwindung schnurgerade auf ihn zuzufliegen. Natürlich durfte sie sich von ihrer Angst nichts anmerken lassen, aber genau diese Bemühungen waren es, die sie glauben ließen, sie müsse in ihrem Auftreten furchtbar künstlich wirken.
»Einer von Askans Gilkos, welche Freude«, kamen die Worte aus Biharuns Mund. »Was führt dich zu uns, gibt es eine neue Nachricht an die
Weitere Kostenlose Bücher