Abraxmata
einzige Neue, das nun für sie erkennbar war, war, dass die Äste dieser Bäume nicht nur wieder dem Boden entgegenkrochen, sondern dass sie am Boden entlang weiterwuchsen und dies mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Es war nicht so, dass sie wirklich voranschossen, aber man konnte sie beim Wachsen beobachten, wenn man für längere Zeit einen Ast im Auge behielt. An manchen Stellen verschwanden die Äste der Bäume wieder in der roten Erde.
Hevea hatte das Tal erreicht. Bei allem, was ihr hier in die Augen drang, schwanden ihre letzten Hoffnungen, jemanden zu finden, der ihnen helfen konnte. Die einzige Möglichkeit, Leben anzutreffen, vermutete Hevea im Fluss. Sie flog direkt über die braune Brühe und folgte dem Fluss eine Weile. Etwas kam ihr komisch vor. Erst als sie innehielt, um einen Augenblick in der Luft zu schweben, realisierte sie, dass das Wasser stillstand, nicht floss, sich keinen Millimeter bewegte. Es erzählte kein Lied, wie andere Flüsse, sondern schien tot und leer. Beklommen setzte Hevea ihren Weg fort, wobei sie weder die Wasseroberfläche weiter beobachtete noch das Tal nach irgendjemandem absuchte. Sie war völlig weggetreten, in ihre Gedanken versunken, als sie sich einbildete, ein ganz leises Plätschern zu hören, das sehr nahe und irgendwie vertraut klang.
»Nein, Hevea, das bildest du dir nur ein. Oh Waldgeist, jetzt habe ich sogar schon Halluzinationen.« Nachdem sie eine Zeit lang in der Luft schwebend versucht hatte, das Geräusch aus ihren Gedanken zu verdrängen, was ihr nicht gelang, senkte sie ihren Blick auf die dunkle Wasseroberfläche. Über das bewegungslose Wasser schoben sich kleine gläserne Wasserperlen, die auf dem Wasserspiegel dahinglitten. Diese minimale Bewegung erschien Hevea in der ganzen Leblosigkeit um sie herum wie eine Erlösung. Sie flog ganz dicht über den Fluss. Sie konnte nichts erkennen, das Wasser schien sich von selbst zu bewegen … außer einem hohlen braunen Grashalm, der fast senkrecht aus dem Wasser ragte.
Als sie den Halm herausziehen wollte, spritzte ihr eine Wasserfontäne entgegen, die sie von oben bis unten mit braunem Schlamm bedeckte. Aus dem Flussbett erhob sich ein braunes Monster, von dem der dunkle Schlamm tropfte. Hevea wich erschrocken zurück. Das Etwas hatte lange Gliedmaßen und einen unförmigen Kopf, der sich in einer langen Spitze verlor. Schweigend standen sich die beiden Lebewesen gegenüber. An den Stellen, von denen schon viel Schmutz abgetropft war, begann eine grünliche Haut hindurchzuschimmern.
»Hevea?«, fragte das Wesen aus dem Fluss.
Hevea wurde jetzt noch skeptischer und flog ein weiteres Stück zurück. »Woher kennen Sie meinen Namen?«, sagte sie in einem sehr wirschen und bestimmenden Ton. »Alles klar, du bist Hevea«, sagte die Stimme lachend. »Ich hatte es mir ja gleich gedacht, aber unter dem ganzen Schlamm konnte ich gerade noch erkennen, dass du ein Gilko bist.« Das Geschöpf nahm einen Teil seines Kopfes ab, der sich als alter, verbeulter Hut entpuppte.
»Chamor!«, rief Hevea überglücklich und fiel ihm um den Hals. Sie löste die Umarmung und begann mit ernster Miene zu sprechen: »Chamor, wir stecken in der Klemme. Abraxmata und Famora sitzen am oberen Rand des Gebirges in der Wand fest. Sie können die glatte Felswand nicht herunterkommen. Abraxmata ist verletzt, er wird es auch auf keinen Fall mehr nach oben schaffen. Wir wissen nicht mehr, was wir tun sollen, darum bin ich losgeflogen, um Hilfe zu suchen.«
»Warum macht ihr denn alles so kompliziert?«, fragte Chamor erstaunt. Er war entsetzt darüber, dass Abraxmata verletzt war und nicht weiterkam.
Erst jetzt begann Hevea sich zu wundern, in diesem seltsamen Tal, das zuvor nie jemand im Mondschattenwald bemerkt zu haben schien, ausgerechnet Chamor, den Monolito, anzutreffen, mit dem sie alle befreundet waren. »Wie kommst du hierher?«, fragte sie, während ein kleiner Zug von Misstrauen in ihrem Ausdruck zu liegen schien.
Der Monolito watete aus dem Wasser heraus, das offensichtlich nicht besonders tief war, setzte sich auf einen der kriechenden Äste und begann zu erzählen: »Es war ein sonniger Morgen, vor genau vier Tagen, als ich auf dem Weg war, Abraxmata zu besuchen, um ihn zu fragen, ob er mit mir schwimmen gehe. Ich habe niemanden an der Höhle angetroffen, was mich sehr verwundert hat, denn so früh ist er normalerweise noch nicht auf den Beinen. Ich habe ihn natürlich gleich bei Murus vermutet. Murus bei
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