Abraxmata
Innenseiten schienen blutrot getränkt zu sein. Erschrocken drehte er seine Hände wieder um, den Handrücken nach oben. Heveas Blick war in die Ferne gewichen und schaute starr in die kalte Nacht hinein. Ein Lächeln glitt über Chamors Gesicht, bevor er die Augen schloss und seinen erschöpften Körper zu Boden sinken ließ. Die Müdigkeit war stärker als die Furcht vor der roten Erde und dem dunklen Tal, die sich während dieser Nacht tief in ihm gebildet hatte.
Der Morgen dämmerte schon, als ein lauter Schrei Heveas Mark durchlief. Es war ein schriller und durchdringender Laut, der ihr Angst und Schrecken einflößte. Sie hielt Chamors großes Ohr nach oben und schrie in seinen Gehörgang hinein. »He! Chamor! Aufwachen! Hast du dieses Geräusch denn nicht gehört?« Chamor rieb sich seine müden Augen, worauf Hevea ein Stück zurückflog. »Was hast du mit deinem Gesicht gemacht? Ist das … Blut?«, stotterte sie.
Chamor lachte. »Nein, es hat mich heute Nacht auch schon erschreckt. Es ist die Farbe der Erde hier. Ich weiß nicht, ob du es bemerkt hast, aber der Boden hier scheint mit einem Fluch oder so etwas Ähnlichem belegt zu sein. Er wächst von alleine wieder zu. Man kann hier kein Loch graben. Außerdem fühlt er sich an, als ob man … Ich kann es nicht beschreiben, es ist warmer und grober Schlamm, der jeden, der ihn berührt, blutrot tränkt. Verlange nicht von mir, noch einmal darin zu graben. Die einzige Möglichkeit, einen spitzen oder scharfkantigen Stein als Werkzeug hier zu finden, sehe ich noch am Fuße des steil aufsteigenden schwarzen Gebirges. Vielleicht hat sich irgendwo ein Stück gelöst.«
»Ja, es ist unwahrscheinlich, aber wir müssen es versuchen«, antwortete Hevea.
Sie brachen auf und gingen den kürzesten Weg vom Fluss zum Rand des Tales. Er erwies sich als länger und beschwerlicher, als sie erwartet hatten. Von der Stelle, nahe am roten Fluss, von der sie aufgebrochen waren, konnte man das Gebirgsmassiv bereits deutlich erkennen, aber dies lag wohl nur daran, dass das Land kalt und leer war. Keine belaubten oder benadelten Bäume, keine Erhebungen im Gelände, wie die sanften Hügel im Mondschattenwald, die ihnen die Sicht hätten versperren können. Was den Weg zusätzlich erschwerte war der Gedanke an ihre Freunde – Abraxmata, der schwer verletzt zwischen zwei scharfen Felsspitzen lag, und Famora, die bei ihm war. Sie hatten nichts zu essen, nichts zu trinken, waren in dieser Nacht von der Kälte umschlossen und verloren vermutlich Stück für Stück ihren Lebensmut, der nur noch am seidenen Faden der Hoffnung auf ein kleines Gilkomädchen hing, für das es nahezu aussichtslos schien, in dem dunklen Tal, das so tot wirkte, wie ein Platz auf Erden nur wirken kann, irgendwo Hilfe zu finden. Diese Gedanken umhüllten Hevea und Chamor auf ihrem Weg und machten jede Sekunde unerträglicher, in der Abraxmata und Famora weiter auf sich selbst gestellt waren, ohne etwas für sich selbst tun zu können. Der Himmel war grau in grau, als sie die Felsen fast erreicht hatten. Die schwache Herbstsonne hatte keine Chance gegen die dichten Schlieren der dunklen Wolken, sodass der Sonnenstand in der Düsternis des Tages nicht abzulesen war. Der Marsch kam ihnen jedoch so lange vor, dass sie vermuteten, es müsse mindestens Mittag sein.
Die Erde unterhalb der Felsen schien genauso arm und leblos zu sein, wie die in der Nähe des Flusses, allerdings war sie noch dunkler und mehr schwarz als rot gefärbt.
»Befindet sich Abraxmata hier in der Nähe?«, fragte Chamor und blickte an der schwarzen Felswand empor, die nach oben kein Ende zu nehmen schien und schließlich in der dicken Wolkensuppe verschwand.
»Nein, sie befinden sich etwas weiter östlich, also nach rechts gewendet, noch einige hundert Meter an der Felswand entlang. Ich habe mir das Bild der glatten Wand dort sehr genau eingeprägt und glaube es wieder zu finden. Falls nicht, gibt es immer noch die Möglichkeit, nach oben zu fliegen und oberhalb dieser Wolkenschicht nach ihnen zu suchen, vorausgesetzt es gibt ein ›über der Wolkenschicht‹«, antwortete Hevea.
Ohne sich absprechen zu müssen, ging Chamor, auf einen Blick von Hevea, nach rechts, die Augen auf den Boden gerichtet, während Hevea mit gesenktem Blick nach links flog. Sie schwebte ungewöhnlich tief über dem Untergrund, um auch den kleinsten Felssplitter, der sich möglicherweise vom Gebirgsmassiv gelöst hatte, entdecken zu können. Als sie nicht mehr
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