Abraxmata
nahm eine der großen roten Blüten und zupfte die schönen Blütenblätter rundherum ab, bis nur noch der dicke, fleischige Stiel und eine große gelbliche Blütenknolle übrig blieben. Dann entfernte sie die dicht an der Knolle anliegenden gelben Hüllblätter, bis ein tiefrotes, saftiges Fruchtfleisch zum Vorschein kam, in das sie herzhaft hineinbiss.
»Das sind Wasukablüten. Die schmecken wirklich gut, probier mal«, sagte sie und fügte hinzu: »Die roten Blütenblätter kann man auch essen, aber sie schmecken nicht besonders. Ein bisschen bitter.«
Murus griff nach einer besonders großen Wasukablüte und vollzog das Essritual so, wie es ihm Tosjea vorgemacht hatte. Das Fruchtfleisch der Blume schmeckte süß, aber gleichzeitig erfrischend und durstlöschend. Als er den ersten Bissen gegessen und mit einem Lächeln ein »Mhm, schmeckt gut« in die Runde gesagt hatte, nahm auch Ranavalo eine der Blüten. Alle anderen Uhlanoren taten es ihm gleich. Einige nahmen auch eine andersfarbige Blüte, und Murus beobachtete genau, wie man die blauen oder gelben Blüten aß.
Ein weiblicher Uhlanor spürte Murus’ Blicke. »Die blauen Wasuka schmecken ein bisschen herber und nicht ganz so süß«, sagte sie. »Ich bin übrigens Nandila, die Schwester von Tosjea.«
Murus nickte. Er fand auch, dass Nandila Tosjea irgendwie ähnlich sah. Sie war zumindest genauso wunderschön wie ihre Schwester. Vielleicht war ihr Haar noch ein bisschen goldener und etwas länger.
»Möchtest du einen Schluck Blütennektar probieren, Murus?«, fragte Ranavalo und auf Murus’ Nicken nahm er eines der großen roten Blütenblätter, die auf dem Boden lagen, drückte es etwas zurecht und schüttete in die Schale eine fast durchsichtige, leicht gelbliche Flüssigkeit aus einem der beiden Krüge. Er reichte Murus den Blütennektar, der erst einmal daran roch. Das Getränk roch nach frischem Honig, wie er ihn aus dem Mondschattenwald kannte, so süßlich und lieblich. Zu seiner Überraschung schmeckte der Nektar gar nicht so furchtbar süß, wie sein Geruch es vermuten ließ, sondern unbeschreiblich erfrischend und gut. Nachdem Murus noch jeweils eine von den blauen und den gelben Wasukablüten probiert und festgestellt hatte, dass die gelben ganz furchtbar süß waren – woraus sich wohl auch erklären ließ, dass auf dem Tuch fast nur noch gelbe Wasuka übrig waren –, war seine Schonfrist zu Ende.
»So, Murus, nun erzähle uns, wie du hierhergekommen bist«, begann Ranavalo. »Ich weiß, dass es nicht angenehm ist, schreckliche Erlebnisse wiederzugeben, wenn man gerade dabei ist, sie zu verdrängen, aber in diesen Zeiten müssen wir zusammenhalten. Was du uns erzählst, kann von großer Bedeutung für die Bewohner von Kismet sein und vielleicht die zukünftigen Entscheidungen des Rates beeinflussen.« Und dann fügte er mit einer sehr leisen, ruhigen Stimme hinzu: »Du kannst uns wirklich helfen.«
»Alles hat damit angefangen, dass ich durch Zufall ein Gespräch belauscht hatte. Es ging um die Überwachung Abraxmatas, den werdet ihr nicht kennen«, fing Murus an zu erzählen.
An dieser Stelle schaltete sich bereits einer der Uhlanoren ein und sagte: »Natürlich kennen wir den Hüter der Wälder.«
Murus schaute verdutzt und fuhr fort. »Als ihr Gespräch beendet war, kam ein Gilko hinter den Büschen zum Vorschein, den ich zwar zuerst für einen Augenblick verwechselte, aber trotzdem kannte. Impala ist ihr Name. Deshalb lief ich auch nicht weg, sondern blieb stehen, bis einige dunkle Gestalten zum Vorschein kamen.«
»Landorvanen!«, stieß Ranavalo hervor. »Sie sind also bereits in den Wäldern. Jetzt wird mir vieles klar.«
Murus sah ganz deutlich in seinen hellen Augen, wie seine Gedanken für einen Moment abschweiften. Dann sah er Murus wieder an, um ihm zu bedeuten, fortzufahren. Murus schilderte seinen Weg bis ins kleinste Detail bis zu dem Punkt, an dem ihn Tosjea gefunden hatte. Die Uhlanoren horchten interessiert zu und manche sahen ihn dabei wie gebannt an. Murus hatte sich in seine Erzählung so hineingesteigert, dass er gar nicht bemerkte, wie die Sonne unterging und die Blüten überall um sie herum in ein feurig schönes Licht getaucht wurden. Genauso wenig bemerkte er, dass der Kreis seiner Zuhörer immer weiter anstieg. Zunächst war eine kleine Gruppe Feen hinzugekommen und später noch einige Uhlanoren. Als es fast dunkel war, hatte Ranavalo eine blaue Blume auf die Decke gelegt, die den Kreis unter freiem
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