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Abraxmata

Abraxmata

Titel: Abraxmata Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Bannert
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Echo verhallt war, sah Hevea hektisch in alle Richtungen. Sie wartete noch eine ganze Weile ab. Ihr Kopf hatte längst beschlossen, dass es eigentlich keinen Sinn mehr habe und vernünftig sei, umzukehren, ohne weitere Risiken einzugehen. Aber ihr Gefühl sagte eindeutig etwas anderes und trieb sie noch um die nächsten engen Kurven, Biegungen und Ecken herum. »Nein, Hevea, reiß dich zusammen. Du kehrst jetzt um«, redete sie wie eine Respektsperson mit sich selbst, als von ganz weit weg ein leichtes Leuchten und Flackern zu sehen war. Der Gang schien sich noch unendlich bis dorthin zu ziehen, aber jetzt gab es für Hevea kein Zurück mehr. Jetzt die Möglichkeit unversucht zu lassen, das hätte sie bis in alle Ewigkeit verfolgt.
    Das Licht wurde immer heller, leuchtete immer tiefer in den schwarzen Tunnel hinein. Ein Murmeln und Säuseln schwebte wie Musik die Tunnelwände entlang.
    »Was ist das?«, flüsterte Hevea, immer stärker von dem Geheimnisvollen angezogen. Das Ungreifbare wurde lauter und deutlicher. Stimmen hallten jetzt von allen Ecken wider, aber ihre ständig widerhallenden Echos ergaben so ein Durcheinander, dass Hevea kein Wort verstehen konnte. Sie hatte Angst, Angst, entdeckt zu werden und Angst, vor dem, was sie gleich zu Gesicht bekommen würde. Aber ihre Neugierde ließ ihr keine Wahl. Hevea flog immer schneller, sie hastete durch die Gänge, ohne nachzudenken, ohne wirklich zu wissen, was sie trieb.
    Die braune Holztüre war wie ein Gespenst plötzlich vor ihr aufgetaucht. Wie an einem Riesen sah Hevea an ihr nach oben, geblendet von dem Leuchten, das durch all ihre Schlitze drang und die Türe in einen weißen Rahmen hüllte. Hevea musste sich bemühen, um die kunstvoll in die Türe geschnitzten Lettern erkennen zu können. »Scheherazadon«, las sie, ein bisschen enttäuscht, dass sie mit der Inschrift nicht das Geringste anfangen konnte. Sie konnte sich höchstens vorstellen, dass es ein Name war. Die Türe hatte eine schwere dunkle Klinke in der Form einer Famorenblüte. Hevea rang innerlich mit sich selbst. Ihr Kopf sagte nein, aber ihr Bauch sagte ja. »Also, ja«, flüsterte sie. Sie betätigte die Klinke und die Türe sprang tatsächlich auf.
    Ein Schwall von Stimmengewirr schwappte ihr wie eine riesige Welle entgegen. Vorsichtig flog sie näher heran. Der Raum hinter der Türe war riesengroß. Solch einen großen Raum hatte Hevea in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen. Sie musste ganz unten im Heinekinbaum sein, dort wo der Stamm einen mächtigen Durchmesser erreicht hatte, oder aber sie war bereits unter dem Baum in der Erde. In der Mitte des Raumes stand eine hohe dunkle Säule. Sie war sehr schmal, eigentlich nur grashalmdick, und wand sich kunstvoll nach oben, wo eine runde Kugel über ihr schwebte. Hevea wollte sich die Kugel näher ansehen, doch bei dem Versuch, durch die Tür zu fliegen, spürte sie einen Widerstand, wie von einem Gummikissen, und wurde dann zurückgeschleudert, weit in den dunklen Gang zurück. Sie sah ihre Umrisse in der Türe schweben, mit schillernden Rändern, wie eine Seifenblase. Mit der Hand drückte sie wie in eine zähe Masse und auch der Umriss ihrer Hand mit jedem einzelnen Finger war nun zu sehen. »Es darf nicht wahr sein«, murmelte Hevea. Sie war so weit gekommen und jetzt sollte es am letzten Hindernis scheitern. Dieser Gedanke machte sie wütend und zugleich stark. Sie wollte nicht aufgeben, auf keinen Fall. Es vergingen viele Minuten des Nachdenkens und weiterer Versuche. Die Luft in der Türe war jetzt nicht nur dreifach mit Heveas Gesamtabdruck geziert, sondern es war auch in allen vier Ecken eine ihrer Extremitäten zu sehen sowie ihre zu einer Faust geballte Hand genau in der Mitte. Langsam schien es Hevea aussichtslos, die Türe noch passieren zu können. Aber weglaufen wollte sie jetzt auch nicht mehr. Für sie war ohnehin bereits alles gelaufen, schließlich war sie durch ihre Abdrücke überführt und würde ihre gerechte Strafe bekommen.
    Es musste bereits sehr spät in der Nacht sein, denn Hevea konnte ihre Augen kaum noch offen halten. Sie wollte nur noch in ihr Bett. Vielleicht sah morgen alles schon ganz anders aus. Schlaftrunken flog sie auf, als die ständigen durcheinander klingenden Echos abebbten. Erleichtert atmete Hevea auf. Sie flog nach vorne und hielt in letzter Sekunde noch inne, bevor sie den Raum wieder verlassen hätte. Erschrocken sah sie sich um. Sie war drin. Die Türe lag vor ihr und alle ihre Abdrücke

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